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    Abschiebung vom Arbeitsplatz: Firmen sind sauer - und erhalten prominente Rückendeckung

    Landkreis Biberach, 23.10.2019 (Benjamin Wagener, ©Schwäbische Zeitung)

    Markus Winter ärgert sich. Und wenn sich der Chef des Industriedienstleisters IDS aus Unteressendorf bei Biberach ärgert, flucht er schon mal.

    Aber eigentlich hat der Unternehmer Angst. In diesen Tagen um seinen Mitarbeiter Abdoulie Trawally. Der Gambier arbeitet seit August 2016 als Glasreiniger bei IDS, er ist unbefristet beschäftigt und kann für seinen Lebensunterhalt sorgen.

    Und doch muss der Unternehmer nun tagtäglich fürchten, dass Baden-Württemberg seinen 25-jährigen Mitarbeiter aus dem Betrieb heraus abschiebt – wie es in den vergangenen Monaten bereits einige Male in ähnlichen Fällen passiert ist. Denn die Behörden haben den Asylantrag Trawallys im Mai endgültig abgelehnt.

    Was Winter so ärgert, ist die Tatsache, dass er sich im Stich gelassen fühlt. Im September 2015 und in der Zeit danach, als Hunderttausende Flüchtlinge gekommen sind, haben die Politiker die Wirtschaft gebeten zu helfen. Der IDS-Chef hat das getan – und Leute angestellt, Zeit und Geld in sie gesteckt.

    Dann lehnten die Behörden nach und nach immer mehr Asylanträge ab, die Gefahr, dass die mit großer Mühe Integrierten abgeschoben werden, wuchs. Winter gründete gemeinsam mit anderen Unternehmern eine Initiative, um für solche Fälle Ausnahmeregeln zu schaffen. Große Hoffnung setzten sie in das Migrationspaket, das die Bundesregierung im Juni auf den Weg brachte.

    Aber aus Sicht der baden-württembergischen Unternehmerinitiative „Bleiberecht durch Arbeit“ ist das Gesetzespaket nichts weiter als eine große Enttäuschung.

    Man hat ein Gesetz gemacht, um der Öffentlichkeit zu sagen, wir helfen der Wirtschaft, aber von vornherein war die Intention die, eine Mogelpackung zu machen, um abschieben zu können“, schimpft Winter. „Das Problem ist: Wer die Identität nicht klärt, verliert seine Arbeitserlaubnis, weil die Zeit zum Abschieben genutzt werden soll. Das ist perfide und hinterlistig.“

    Mit dem Bundesgesetz haben sich die Unternehmen abgefunden – mit der Abschiebegefahr nicht. Gemeinsam mit vier Juristen und Asylrechtsexperten hat die Initiative ein Konzept entwickelt, die es den Ländern auf Basis der geltenden Gesetze ermöglichen soll, Flüchtlingen wie Abdoulie Trawally eine Perspektive zu geben.

    Im Migrationspaket verankert ist die „Beschäftigungsduldung“ – eigentlich ins Leben gerufen für gut integrierte Menschen. Nur Flüchtlinge, die 18 Monate Vollzeit gearbeitet, in dieser Zeit straffrei gelebt haben und für ihren Lebensunterhalt selbst sorgen können, kommen für diese Duldung infrage.

    Entscheidende Voraussetzung ist aber eine zwölfmonatige Vorduldung, die dann beginnt, wenn der Asylantrag abgelehnt ist. Von da an muss der Flüchtling allerdings täglich damit rechnen, abgeschoben zu werden, sobald Pass- und Identitätsfragen geklärt sind.

    Neues Konzept sieht vor, dass Behörden dulden dürfen

    Klärt er diese Fragen nicht, verliert er die Arbeitserlaubnis und schafft es deshalb nicht in die Beschäftigungsduldung. „Es wird vorgetäuscht, dass es eine Lösung gibt, aber es gibt keine, es wird abgeschoben“, sagte Gottfried Härle, Inhaber der Brauerei Härle in Leutkirch im Allgäu und wie Winter eine der treibenden Kräfte der Initiative.

    „Das Problem verschärft sich, weil jetzt viele in die Phase kommen, in der die Asylverfahren abschlägig beschieden werden.“

    Das Konzept der Initiative sieht nun vor, dass die Behörden für die abgelehnten Asylbewerber, die integriert sind und arbeiten, nach Paragraf 60a Absatz 2 Satz 3 Aufenthaltsgesetz eine Ermessensduldung aus „erheblichem öffentlichem Interesse“ aussprechen.

    Der Asylrechtsexperte Wolfgang Armbruster, der als Vizepräsident des Verwaltigungsgerichts Sigmaringen in seiner Amtszeit immer wieder mit solchen Fällen betraut war, hält die Lösung für „realistisch und juristisch so begründbar“. Wenn man „den Unternehmen wirklich helfen will, kann man das so machen“, erklärt der Jurist, der das Konzept, das der „Schwäbischen Zeitung“ vorliegt, mitverfasst hat.

    Armbruster warnt vor allem noch vor einer weiteren Gefahr: Wenn sich das Verfahren herumspreche, „sagen sich die Leute doch: Ich bemühe mich lieber nicht um die Klärung meiner Identität oder die Beschaffung meines Passes – ich bekomme zwar die Leistungen gekürzt und kann nicht arbeiten, aber ich werde auch nicht abgeschoben.“

    Annette Widmann-Mauz, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, versteht den Ärger von Winter, Härle und den mittlerweile mehr als 100 Unternehmern aus dem Südwesten. „Alle, die damals politisch Verantwortung trugen, haben Unternehmer und Ehrenamtliche sehr vehement aufgefordert, diesen Menschen zu helfen und ihnen Arbeit zu geben“, schreibt die CDU-Politikerin in einem Brief, der der „Schwäbischen Zeitung“ vorliegt, an Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU).

    Strobl beurteilt Situation anders

    Vor allem aber fordert sie ihren Parteifreund auf, die „bestehenden rechtlichen Möglichkeiten“ zu nutzen. Und sie beurteilt die Lage genauso wie Asylrechtsexperte Armbruster und die Unternehmer: „Über die Ermessensduldung können die Länder die bisher erbrachten Integrationsleistungen schon jetzt honorieren und damit den Übergang in die Beschäftigungsduldung erheblich erleichtern“, sagt Widmann-Mauz der „Schwäbischen Zeitung“.

    Innenminister Strobl beurteilt die Lage anders. Nach Ansicht des CDU-Politikers nutzt sein Ministerium den vorhandenen Spielraum „im Interesse der Unternehmen und der arbeitenden Geflüchteten bereits weitgehend aus. In diesem Sinne haben wir uns für die Anliegen der Wirtschaft nach Kräften eingesetzt“, sagte ein Sprecher.

    Strobls grüner Koalitionspartner begrüßt dagegen den Vorstoß – und teilt die Kritik der Unternehmer. „Die Hürden für die geplante Beschäftigungsduldung sind schlicht zu hoch“, sagte Staatsministerin Theresa Schopper der „Schwäbischen Zeitung“. Berlin habe es versäumt, „eine saubere, die Interessen der Unternehmen und Flüchtlinge ausreichend berücksichtigende Regelung zu treffen“.

    Viele Unternehmer aus Baden-Württemberg seien darauf angewiesen, Flüchtlinge für bestimmte Tätigkeiten zu beschäftigen. „Es macht ja – schon aus wohlverstandenem Eigeninteresse – keinen Sinn, Menschen abzuschieben, die schon seit Jahren hier leben, eine Arbeit haben und Steuern zahlen.“

    Arbeit haben und Steuern zahlen, wie Abdoulie Trawally. Um den sich Markus Winter gerade so große Sorgen macht, schließlich könnte er jeden Tag abgeholt werden.

    CDU-Bundestagsabgeordnete lehnen Vorstoß ab

    Baden-württembergische CDU-Bundestagsabgeordnete, die das Migrationspaket mitentwickelt haben, lehnen den Plan der Unternehmerinitiative ab. „Ohne eine zwölfmonatige Vorduldungszeit käme die Beschäftigungsduldung einem Spurwechsel gleich. Ein solcher Spurwechsel wäre ein starker Anreiz für einen Asylantrag in Deutschland. Von ihm würde das Signal ausgehen: Man muss es nur irgendwie nach Deutschland schaffen, dann wird sich schon eine Arbeit finden und ein Bleiberecht ergattern lassen“, sagt Thorsten Frei, der den Wahlkreis Schwarzwald-Baar vertritt. Sein Kollege Axel Müller, für den Wahlkreis Ravensburg in Berlin, hält den Paragrafen, den die Initiative anführt, für eine „absolute Ausnahmevorschrift für den präzise zu prüfenden Einzelfall“.

    Eine „Anwendung auf eine ganze Gruppe gleichgelagerter Fälle, die den gleichen Hintergrund haben, halte ich für nicht machbar“, erklärt Müller auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Zudem hält er eine generelle Umgehung von Bundesgesetzen durch einen Erlass, „der das Gesetz an einem entscheidenden Punkt faktisch aushebeln würde, nicht für zulässig und mit Blick auf die Glaubwürdigkeit unseres Rechtsstaates für gefährlich“.

    Alexander Throm, für den Kreis Heilbronn im Bundestag, weist darauf hin, dass „die zwölfmonatige Duldungszeit vom Bundestag bewusst beschlossen wurde, um den Rückführungsanspruch des Staates aufrechtzuerhalten.“ Es handele sich schließlich um ausreisepflichtige Personen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Unternehmerinitiative bewusst eine rechtswidrige Umgehung des gesetzgeberischen Willens vorschlägt“, erklärt Throm weiter.

    Joachim Pfeiffer, der den Wahlkreis Waiblingen im Bundestag vertritt, wollte sich auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“ weder zum Vorstoß der Unternehmerinitiative, noch zum Migrationspaket äußern, das er mit auf den Weg gebracht hat.

    CDU-Landtagsabgeordnete kritisieren Bundesgesetz

    Für die CDU-Abgeordneten im baden-württembergischen Landtag, Raimund Haser (Wangen/Illertal)und Thomas Dörflinger (Biberach), geht der Vorstoß dagegen in die richtige Richtung. „Der Staat hat 2015 an die Arbeitgeber appelliert, Flüchtlinge schnellstmöglich in Arbeit zu bringen.

    Viele große und kleine Betriebe sind diesem Wunsch gefolgt und haben viel Zeit, Geld und Herzblut in diejenigen investiert, die es aus ihrer Sicht verdient haben. Diese Arbeitgeber fordern deshalb zu Recht eine verlässliche Lösung – wie auch immer diese aussehen mag – für ihre Beschäftigten.Im Prinzip geht der Vorschlag der Arbeitgeberinitiative also in die richtige Richtung“, schreiben Haser und Dörflinger. „Aber dass es nun Aufgabe der Länder sein soll, einen offensichtlich wunden Punkt in der Bundesgesetzgebung durch eigene Erlasse der Länder zu heilen, irritiert uns schon ein wenig.“

    Unterschrift Foto: IDS-Mitarbeiter Abdoulie Trawally: Tagtäglich von der Abschiebung bedroht. Bild: Monika Wieland, ©Schwäbische Zeitung