Riedlingen sz
Einkaufen für den täglichen Bedarf auf die übliche Art und doch ganz anders: Der Tafelladen in Riedlingen ist eine der am meisten genutzten Institutionen des Freundeskreises „Freunde für Fremde“. Mittwochs und samstags klingelt hier die Ladenglocke. Wie an einem herkömmlichen Tante-Emma-Laden – und doch ist die Situation eine ganz andere.
Bereits eine halbe Stunde vor der offiziellen Öffnungszeit füllt sich der Platz vor dem Laden an der Ziegelhüttenstraße. Drinnen ist das Team der Mitarbeiter am Vorbereiten: Brot wird in die Theke einsortiert; frisches Obst und Gemüse – teilweise bereits in Tüten portioniert – kommt nach Sorten geordnet ins Regal oder steht in großen Kisten davor; das Kühlregal wird aufgefüllt; die Grundnahrungsmittel – Mehl, Salz, Zucker, Konserven – werden auf Vollständigkeit überprüft.
Um 11.45 Uhr stellt Hans Petermann – Sprecher des Leitungsteams aus Elisabeth Geiger, Marianne Hermanutz, Ingrid Lemke und Ursula Geisinger – mit einem Mitarbeiter einen kleinen Tisch vor die Tür: Das Verlosen der Einkaufsreihenfolge beginnt. Zuerst die Frauen, danach die vorwiegend jungen Männer, treten an den Tisch, in der Hand ihren Berechtigungsschein und fünf Euro. Der Schein wird kontrolliert, die fünf Euro wandern in die Kasse. Dafür erhält der Kunde einen Holzwürfel, den Petermann aus einer verdeckten Tonne nimmt. Eingeprägt auf einer der Würfelseiten: eine Zahl zwischen 1 und 100. Das wird die Nummer sein, an deren Stelle der Berechtigte in den Laden kann. „Nummer 64, oh je!“, sagt einer der jungen Männer. Manchmal, so Petermann, komme es vor, dass jemand aus dem hinteren Wartebereich eine kleine Zahl zugelost bekommt. „Oh, Nummer 1. Glück gehabt!“, kommentiert Petermann nach einer ganzen Weile die Ausgabe eines Würfels. Nach etwa zehn Minuten wird der Pulk um den Tisch lockerer. Die mit Würfel Versorgten suchen sich einen Platz auf einer der Bänke oder am Rand des Plätzles, gruppieren sich um die Fahrräder, treffen sich zum Schwatzen und Warten. Ein Dach, sagen mehrere der Frauen, sei wichtig. Im Winter und bei Regen müssten sie ungeschützt im Freien warten. Das Dach, so Petermann, sei in Arbeit: „Planung und baurechtliche Genehmigung sind fertig.“ Da es über Spenden finanziert werde, sei es mit einer termingebundenen Fertigstellung schwierig. Aber: Es kommt!
Für die erste Gruppe – Würfel Nummer eins bis fünf – ist das Geschäft nun geöffnet. Das Einkaufen im Laden geht vonstatten wie üblich – außer, dass Obst und Gemüse kontingentiert sind: Jeder kann nur eine Sorte, ein Gebinde davon in seinen Einkaufskorb legen; auch für die Einkäufer mit Nummern über 80 soll ja von den frischen Dingen noch etwas vorhanden sein. „Heute gibt es viele Eier“, hat Petermann bereits vor der Ladenöffnung bekannt gegeben. Allerdings gucken die meisten in den Karton und wählen den mit den weißen Eiern – die sind deutlich beliebter. Auch vielen Flüchtlingen und anderen ausländischen Berechtigten unbekanntes Gemüse – Kopfsalat, Spargel, Kohlrabi etwa – bleibt lange liegen oder wird überhaupt nicht verkauft. Auch Geschirr und Töpfe, Gläser und Bierkrüge, Schüsseln und Besteck sind in den Regalen vorrätig.
Die Frauen an der Kasse kontrollieren die Körbe und tippen den Preis in eine Registrierkasse. Für eine volle, große Einkaufstüte werden etwa drei bis fünf Euro fällig. Acht Euro 50 bezahlt ein junger Mann. Für Bruder und Freunde, für acht Personen, habe er eingekauft. Sogar ein Kochtopf, mehrere Küchenmesser und Gläser sind dabei. Den Würfel gibt er an der Kasse zurück und bekommt dafür wieder den 5-Euro-Schein.
Alle sechs bis acht Minuten wird der nächste Schwung in den Laden gezählt. Nach etwa zwei Stunden sind der Platz und der Laden fast leer. In der Regel, so Petermann, laufe das Einkaufen hier geordnet ab – nach einer Zeit der weniger guten Erfahrungen und einer „Erziehungszeit“ der Kundschaft. Es erwies sich als wichtig, Regeln verständlich zu machen und konsequent durchzusetzen. Mit allen Mitarbeitern. Ein freundlicher und doch bestimmter Umgangston herrscht.
Inzwischen seien etwa 70 Prozent der Kunden hier Flüchtlinge, ergänzt durch die Menschen, die vom Sozialamt einen Berechtigungsschein ausgestellt bekommen haben. Oft steckten schreckliche Schicksale hinter den Menschen der Kundschaft des Tafelladens, sagt Petermann. Ihr Überleben sei vielfach nur durch Übertreten sämtlicher Regeln möglich gewesen. Und hier müssen sie sich wieder an neue Regeln halten.
Seit Oktober 2007 ist der Tafelladen in Riedlingen geöffnet. Auf Initiative von Stadträtin Helga Pernice und der damaligen Pfarrerin Helga Steible-Elsässer wurde er eingerichtet, um bestimmten Bedürftigen das Einkaufen zu günstigen Preisen zu ermöglichen: von Armut bedrohten Menschen, Beziehern von Sozialhilfe, von Grundsicherung oder Arbeitslosengeld II. Unter der Trägerschaft des DRK-Kreisverbandes arbeiten rund 30 Ehrenamtliche in Riedlingen – im Laden, beim Sortieren der eingehenden Waren, beim Abholen der Produkte in Supermärkten, Bäckereien, Drogeriemärkten. Alle Waren müssen in einem gesundheitlich einwandfreien Zustand sein; wenn das Haltbarkeitsdatum fast oder bereits abgelaufen ist, werden sie getestet und ihr Zustand protokolliert. Unbrauchbares, verschimmeltes oder faulendes Gemüse und Obst werden in der kleinen Küche aussortiert und dem Bioabfall zugeführt. Ständig fehlt es an Grundnahrungsmitteln, da Mehl, Nudeln, Zucker, Öl, Salz eine sehr lange Haltbarkeit haben und von den Supermärkten daher selten aussortiert werden. Mit Spenden kann der Erwerb besonders solcher Grundnahrungsmittel unterstützt werden. Spendenkonto: Evangelische Kirchenpflege Riedlingen, Kreissparkasse Biberach, IBAN: DE14 6545 0070 0000 4072 63, BIC: SBCRDE66. Unter Verwendungszweck bitte vermerken: „Lebensmittel für Bedürftige“.
Unterschrift Foto: Otto Götz (links) und Hans Petermann verlosen die Klötzchen mit Nummern zwischen 1 und 100: In der Reihenfolge kann die Person in den Laden zum Einkaufen. Bild: Eva Winkhart, ©Schwäbische Zeitung