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    Die beiden Schwestern erzählen die Geschichte ihrer tragischen Flucht aus Syrien

    Riedlingen, 25.08.2016

    Fridingen sz
    Hunderttausende Syrer haben sich gezwungen gesehen, ihre Heimat zu verlassen. Bei all den Zahlen und Prognosen wird leicht vergessen, dass jeder einzelne Flüchtende sein eigenes Schicksal zu verarbeiten hat, dass jeder Mensch individuelle Erfahrungen, Erinnerungen, Träume und Wünsche sein eigen nennt. Das ist die Geschichte von Maha und Souriana, zwei syrische Schwestern, die seit Anfanga vergangenen Jahres im Landkreis Tuttlingen leben.

    Sie arbeiten hart dafür, ein aktiver, integrierter Teil der deutschen Gesellschaft zu werden – ihre Heimat, da sind sie sich sicher, ist verbrannte Erde, die Rückkehr ist ausgeschlossen. Maha will unbedingt Medizin studieren, den nötigen Abschluss hat sie bereits in der Tasche, bis nächstes Jahr will sie ihr Deutsch auf das entsprechende Niveau bringen. Eine echte Mammutaufgabe. Etwas leichter hat es ihre jüngere Schwester Souriana. Bereits nach wenigen Monaten Deutsch-Unterricht wurden ihre Fortschritte als so hervorragend eingestuft, dass sie schon bald die achte Klasse des IKG besuchte.

    Die beiden Schwestern erzählen von ihrer Reise, die wie das Drehbuch eines Dramas klingt. Die erlebten Schrecken haben sich wie Schatten über die jungen Frauen gelegt; es ist zu spüren, wie schwer ihnen diese aktive Aufarbeitung fällt. Auch aus diesem Grund ziehen es die beiden vor, nicht direkt gezeigt zu werden. Und doch möchten sie, dass die Deutschen von ihrer Geschichte erfahren, um die Entscheidung ihrer Familie, Syrien zu verlassen, besser verstehen zu können.

    Die Odyssee der Familie beginnt im Jahr 2013. Maha und Souriana leben bis zu diesem Zeitpunkt in der Hafenstadt Banyias. „Ich würde mein Leben in Banyias auch vor dem Massaker nicht als gut beschreiben. Viele Dinge, die ich tun wollte, waren verboten. Unser Leben war sehr beschränkt. Ich habe immer gedacht, dass ich irgendwann meinen eigenen Weg gehe – aber niemals, dass ich vor Gewalt und Terror fliehen muss.“

    Nachbarn werden zu Mördern

    Das Massaker ändert alles. Mehrere Hundert Menschen werden getötet. Die Pro-Assad Truppen fallen über die Zivilisten her, machen selbst vor Kindern nicht halt. Die Mädchen erzählen von Nachbarn, die jahrelang ein friedliches Gemeinschaftsleben führten und an diesen Tagen zu Mördern werden. Ein menschenwürdiges Leben in Banyias war unmöglich geworden, die Familie entschließt sich zur Flucht.

    Die Reise über den Libanon in die Türkei nennt Maha „den Weg der Demütigungen“. Unzählige Male wird die Familie ausgefragt und in die Mangel genommen, muss sich anbiedern und lügen. Auf dem Seeweg kommen sie in Mersin in der Türkei an und bleiben dort für eineinhalb Jahre: „Wir dachten, dass wir es wirklich schaffen würden, uns ein Leben aufzubauen. Der Plan war, auf die Universität zu gehen, Jobs zu finden und sich einzugliedern. Doch wir mussten realisieren, dass wir auf etwas warteten, dass sich niemals einstellen würde. Die Türkei konnte uns Syrern nichts bieten außer Sicherheit. Und unser Geld wurde knapp und wir verloren die Hoffnung.“

    Also trifft die Familie eine folgenschwere Entscheidung: „Am 24. Dezember 2014 starteten wir unsere Reise nach Italien.“ Mit der Hilfe von Schleusern soll die Familie auf ein Flüchtlingsschiff gebracht werden – doch bereits bevor sie zusammen mit 400 weiteren Syrern auf dem Boot untergebracht werden können, kommt es zu einem tragischen Zwischenfall: Der Van, in dem Maha und Sourianas Bruder und ihre Schwester Judy untergebracht waren, wird von Militärs gefasst. Zusammen mit 250 weiteren Flüchtlingen werden sie festgehalten und sollen es nie auf das Schiff schaffen.

    Das Boot wartet noch fünf Tage, ehe die Schleuser sich zur Abfahrt entscheiden. Unzählige Familien wurden entzwei gerissen. Auf dem Schiff werden die Flüchtlinge in Vorrichtungen untergebracht, die normalerweise für den Viehtransport genutzt werden. Es gibt keine richtigen Toiletten und zu wenig Essen und Trinken – denn eigentlich ist das Schiff nur für wenige Tage ausgestattet, die Reise aber zieht sich dann über zwei Wochen hin. Insgesamt ist das Schiff drei Stürmen ausgesetzt und droht mehrfach zu kentern. Viele der Flüchtenden brechen unter den anhaltenden Strapazen zusammen.

    Unterschrift Foto: Maha und Souriana möchten sich nicht fotografieren lassen. Aber dieser Handy-Schnappschuss, den sie im Flüchtlingsboot gemacht haben, lässt erahnen, was die beiden syrischen Schwestern durchgemacht haben Bild: privat, ©Schwäbische Zeitung