Bad Schussenried sz
Wer hat an einer nicht beschilderten Kreuzung Vorfahrt? Welche Bedeutung haben die verschiedenen Verkehrszeichen? Wer als Flüchtling nach Deutschland kommt und hier Fahrrad fahren will, muss viele Verkehrsregeln lernen. Der Landkreis Biberach bietet darum in Zusammenarbeit mit der Stadt Biberach und der Deutschen Verkehrswacht in diesem Frühjahr Verkehrsschulungen an.
Mohanad Karim schaut stirnrunzelnd auf das Verkehrsschild direkt vor ihm. Es ist ein „Vorfahrt achten“-Schild. Der Iraker steht mit seinem Fahrrad an einer Kreuzung auf dem Verkehrsübungsplatz in Bad Schussenried und überlegt, ob er als Linksabbieger Vorfahrt hat. Neben ihm steht Andrea Bücheler von der Kreisverkehrswacht. Geduldig erklärt sie ihm, welche Verkehrsregel in einem solchen Fall gelten. „Du musst bis zur Kreuzung fahren, dann nach links und rechts schauen und darauf achten, ob jemand anderes ebenfalls die Kreuzung überqueren will“, sagt sie und bedeutet ihm, weiterzufahren.
Im Irak nie Fahrrad gefahren
Gemeinsam mit Karim fahren noch 20 weitere Flüchtlinge auf dem Verkehrsübungsplatz hin und her und üben, was sie in der Stunde zuvor im theoretischen Teil des Kurses gelernt haben. „Im Irak bin ich fast nie mit dem Fahrrad gefahren“, erklärt Karim. Dort, wo er aufgewachsen ist, würden die meisten Menschen sich entweder mit dem Auto oder mit einem Roller fortbewegen. Dank der vielen ehrenamtlichen Helfer besitzen er und einige der anderen Flüchtlinge, die zurzeit in den beiden Gemeinschaftsunterkünften in Bad Schussenried leben, nun aber Fahrräder.
Auf dem Verkehrsübungsplatz sind an diesem Tag fast genau so viele Flüchtlinge wie Menschen, die sie unterstützen. Eine Sozialarbeiterin ist anwesend, zwei Dolmetscher und einige Ehrenamtliche. Sie alle ermutigen und unterstützen die Flüchtlinge. „Die meisten dieser Flüchtlinge sind inzwischen mindestens ein Jahr in Deutschland, sie sind angekommen und wollen am Leben teilnehmen“, sagt Simone Bleichner, Flüchtlingsbeauftragte des Landkreises Biberach. Dass ein solcher Kurs dringend nötig ist, hätten die vielen Unfälle und Fast-Unfälle gezeigt, die es überall im Landkreis gegeben habe. „Einige der Flüchtlinge, die an den Kursen teilnehmen, zahlen seit Monaten Schäden ab, die sie mit dem Fahrrad verursacht haben“, ergänzt Bleichner. Angemeldet für den heutigen Kurs waren eigentlich nur zehn Flüchtlinge. Doch da das Angebot sich herumgesprochen hat und das Wetter so schön ist, sind deutlich mehr gekommen. „Das sind kulturelle Unterschiede. Sich verbindlich für etwas anzumelden, ist in manchen anderen Ländern nicht so üblich“, erklärt sie.
Auf dem Platz herrscht mittlerweile ein großes Gewusel. Kinder und erwachsene Männer fahren durcheinander, eine Frau mit Kinderwagen steht am Rand und schaut aufmerksam zu. „An die Frauen heranzukommen, ist deutlich schwieriger“, sagt Bleichner. Die meisten von ihnen seien in ihrer Heimat noch nie Fahrrad gefahren, die meisten Männer aus Syrien und Afghanistan hingegen schon.
Am schwierigsten ist für die meisten Flüchtlinge zu verstehen, dass sie in Deutschland mit dem Fahrrad immer am rechten Fahrrand fahren müssen – und dass dort, wo keine Schilder stehen, stets rechts vor links gilt. Zu Beginn der Stunde kurven einige der Teilnehmer noch in einem Schlingerkurs über die gesamte Fahrbahn. Auch dass der Radler in Deutschland eine Hand ausstreckt, um zu signalisieren, dass er abbiegen will, erscheint den meisten wohl zuerst etwas abwegig. Bücheler lässt jedoch keine Zweifel daran aufkommen, wie wichtig es ist, sich im Straßenverkehr korrekt zu benehmen. „Ihr seid Erwachsene. Die Autofahrer denken, dass ihr die Regeln kennt und wenn ihr sie missachtet, seid ihr als Fahrradfahrer in großer Gefahr“, sagt sie in strengem Ton. Das scheint Eindruck zu hinterlassen. Fortan wird – wenigstens etwas – ordentlicher gefahren.
Unterschrift Foto: Andrea Bücheler (vorne) von der Verkehrswacht erklärte immer wieder, wie die Radler sich im Straßenverkehr zu verhalten haben. Bild: Katrin Bölstler, ©Schwäbische Zeitung