Zwei Stunden hätte Orhan Yasar noch schlafen können, bevor er sich auf den Weg zu seinem Arbeitsplatz nach Bad Buchau gemacht hätte. Doch die Kollegen haben umsonst auf ihn gewartet. Der aus der Türkei stammende und in Bad Saulgau wohnende kurdische Alevit wurde vor wenigen Tagen am frühen Morgen aus seiner Wohnung in Bad Saulgau von der Polizei abgeholt und wenige Stunden später in die Türkei abgeschoben.
„Wir wollten wie jeden Morgen zusammen zur Arbeit fahren“, erzählt sein Cousin Ugur Camkiram, der beim Motorspindel-Hersteller Kessler GmbH in Bad Buchau arbeitet, genau wie Orhan Yasar. Doch an diesem Tag ist alles anders. Der 41-Jährige wird gegen vier Uhr am frühen Morgen aus dem Bett geklingelt, von der Polizei unmittelbar danach nach Stuttgart zum Flughafen gebracht und von dort aus in die Türkei abgeschoben.
Kinder verstehen nicht, warum der Onkel weg musste
Orhan Yasar wohnte bei seinem Bruder Gökhan. Der wohnt und arbeitet schon seit 20 Jahren in Bad Saulgau und hat in seinem Haus in der Wilhelmstraße genug Platz für seinen Bruder. Dessen Kinder sind noch ganz aufgewühlt vom Vorfall, verstehen nicht, warum der Onkel plötzlich nicht mehr da ist. „Wir können das alles gar nicht glauben“, sagt Gökhan Yasar, „Orhan hat niemanden was zuleide getan, er hat einen festen Arbeitsplatz und er wollte heiraten.“
Sein Arbeitskollege Cihangir Camkiran äußert sich ähnlich. „Wir haben uns gewundert, dass er an diesem Morgen noch nicht da war, schließlich war er sonst pünktlich“. Seit rund eineinhalb Jahren arbeitet Orhan Yasar beim Bad Buchauer Unternehmen, hat einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Seine Großeltern, Cousins und andere Verwandte wohnen ebenfalls in Bad Saulgau. Hier spielte er beim Bad Saulgauer Verein SC Türkiyemspor aktiv Fußball.
Er ging jeden Tag zur Arbeit, ist dem Staat nicht auf der Tasche gelegen, ist polizeilich nie aufgefallen, das Ganze versteht im Betrieb keiner.
Cihangir Camkiran, Arbeitskollege des Abgeschobenen
Auch Cihangir Camkiran beschreibt Yasar als ruhigen und friedliebenden Menschen und hat kein Verständnis für die Abschiebeaktion. „Er ging jeden Tag zur Arbeit, ist dem Staat nicht auf der Tasche gelegen, ist polizeilich nie aufgefallen, das Ganze versteht im Betrieb keiner.“
Auch Thomas Oßwald vom gleichnamigen Autohaus in Bad Saulgau und Mitglied der Unternehmer-Initiative „Bleiberecht durch Arbeit“ ist verärgert. Auch deshalb, weil das baden-württembergische Innenministerium im März, im Vorgriff einer entsprechenden Regelung auf Bundesebene, sogenannte Ermessensduldungen für gut integrierte Geduldete in Arbeit auf den Weg gebracht hat. Orhan Yasar geht, wie darin gefordert, seit mindestens 18 Monaten einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach, sein Lebensunterhalt ist also gesichert.
Vorraussetzung für Bleiberecht nicht erfüllt
Doch der Erlass beinhaltet eine weitere Voraussetzung. Die erfüllt Orhan Yasar nicht: Er sollte mindestens 12 Monate geduldet sein, um die Voraussetzungen für eine Ermessensduldung zu erfüllen. Der Abgeschobene kann nur drei Monate vorweisen. Er sitzt jetzt in einem kleinen türkischen Dorf bei seiner Mutter, rund 1000 Kilometer von Istanbul entfernt. Er hat keine Arbeit und kein Einkommen. Im Unternehmen in Bad Buchau würde seine Arbeitskraft gebraucht.
Das Asylverfahren in Deutschland ist nicht immer leicht zu verstehen. Das sind die einzelnen Schritte von der Erstregistrierung bis zur Entscheidung.
„Mit Kriminellen geht man so um, mit Terroristen, aber nicht mit jemandem, der noch nie irgend jemandem Leid zugefügt hat, einfach nur arbeiten und seinen Frieden haben will“, sagt sein Bruder Gökhan. Der Antrag auf Asylanerkennung wurde abgelehnt. Zum einen, weil ihm weder „die Flüchtlingseigenschaft“ noch ein „subsidiärer Schutzstatus“ zuerkannt wird.
Aleviten erleben laut Asylantrag systematische Verfolgung
Bei der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat der Abgeschobene die Gründe für seinen Asylantrag erläutert. In der Türkei herrsche „innerer Krieg“. Die Aleviten würden dort eine „systematische Verfolgung“ erleben, Verhaftungen und Morde seien an der Tagesordnung, Sicherheitskräfte würden willkürlich Menschen angreifen und sie auffordern, die Region zu verlassen.
Nach einer Abschiebung gilt ein Einreiseverbot von 30 Monaten. Die Abschiebeentscheidung wurde, wie üblich in Baden-Württemberg, beim Regierungspräsidium Karlsruhe gefällt. „Ich bedaure es, dass sich Geflüchtete, die sich durch Arbeit gut integriert haben, abgeschoben werden müssen“, äußert sich dazu Bastian Rädle, der Integrationsbeauftragte des Landkreises Sigmaringen.
Er hatte erst vor wenigen Tagen ein Gespräch mit Thomas Oßwald, in dem es unter anderem um die Integration Geflüchteter ging. Der Arbeitgeber von Orhan Yasar hat sich vor wenigen Tagen schriftlich an das Innenministerium gewandt – mit der Bitte um „Aufklärung“ des Vorfalls. Der Mitarbeiter sei „sehr gut integriert gewesen“, und es habe keinerlei Grund zur Klage gegeben.