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    Hat die Integration von Flüchtlingen geklappt?

    Biberach, 28.08.2017 (Gerd Mägerle, ©Schwäbische Zeitung)

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    In der zweiten Folge der SZ-Wahlprüfsteine äußern sich die Biberacher Bundestagskandidaten von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, Linke und der AfD zu den Themen Integration, innere Sicherheit und Außenpolitik.

    Der Kreis hat in den vergangenen zwei Jahren viele Flüchtlinge aufgenommen. Ist die Integration auf einem guten Weg?

    Josef Rief (CDU): Schaut man diese zwei Jahre zurück, ist es eine beachtliche Leistung, die im Wahlkreis vollbracht wurde. Viele Ehrenamtliche helfen immer noch jeden Tag. Die Verwaltung hat gute Arbeit geleistet. Ich hatte Gelegenheit, mir Projekte anzuschauen, darunter Unternehmen, die verstärkt Flüchtlinge beschäftigen. Das größte Problem scheint mir immer noch die Sprache zu sein. Ich sehe aber das große Engagement im Wahlkreis und bin zuversichtlich, dass die Integration vieler Flüchtlinge mit Bleibeperspektive gelingen kann. Wir müssen aber auch eine Integrationsbereitschaft von den Flüchtlingen einfordern. Es darf nicht zu mehr Parallelgesellschaften kommen.

    Martin Gerster (SPD): Ich bin immer wieder aufs Neue beeindruckt von der großen Hilfsbereitschaft der vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, die ich gerne unterstütze. Zusammen mit Hauptamtlichen gelingt es uns ganz gut, etlichen Flüchtlingen eine Perspektive aufzuzeigen: Durch das Erlernen der deutschen Sprache, Schulunterricht, durch Aufnahme in Familien, durch Sportangebote. Dennoch hakt es an der einen oder anderen Stelle und sicherlich gibt es auch Enttäuschungen. Vor allem bei der Vermittlung in Arbeit: Hier brauchen wir ein Einwanderungsgesetz, das transparent regelt, wer aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland einwandern kann und wer nicht.

    Anja Reinalter (B90/Die Grünen): Die Integration ist meiner Meinung nach auf einem gutem Weg. Allerdings liegen – wie mir auch viele hauptamtliche und ehrenamtliche Helfer immer wieder berichten – noch viele schwierige und herausfordernde Aufgaben vor uns. Aufgaben, die uns die nächsten Jahre begleiten und beschäftigen werden. Wohnen, Arbeit, die Vermittlung unserer Grundwerte. Keine Frage – es bleibt viel zu tun. Ich sehe, dass bei uns im Kreis bereits vieles hervorragend klappt; dass aber auch nicht alles so einfach ist, wie vielleicht gedacht. Integration ist eine große Aufgabe und gleichzeitig eine echte Chance für gelingendes Zusammenleben verschiedener Kulturen.

    Tim Hundertmark (FDP): Dank dem besonderen Einsatz zahlreicher ehrenamtlichen Helfer und der guten Organisation in den Kommunen und den Kreisbehörden konnte diese enorme Herausforderung gestemmt werden. Für ein Gelingen von Integration und Einwanderung setzen wir Freie Demokraten uns für klare Regeln ein. Wir wollen ein geordnetes Einwanderungsrecht schaffen. Dazu gehören auch funktionierende Rückführungsregelungen. Talente von Zuwanderern wollen wir fördern, ihre Potenziale und Visionen für den Arbeitsmarkt nutzbar machen und starke Personen für eine aktive Mitarbeit in Gesellschaft und Ehrenamt gewinnen.

    Ralph Heidenreich (Die Linke): Meiner Meinung nach haben der Kreis und die Stadt Biberach und die vielen Helfer die Sache ziemlich gut gemacht. Irritationen kamen dort eher von außen, wo es Beispiele gibt, dass gerade fleißige, strebsame und gut integrierte Menschen in Krisenregionen abgeschoben wurden.

    Matthias Stiel (AfD): Viele Menschen haben sich in der Flüchtlingshilfe engagiert und dabei unterschiedliche Erfahrungen gemacht bezüglich der Integrationswilligkeit und der Integrationsfähigkeit. Dank dieses ehrenamtlichen Einsatzes ist es bei uns bislang ruhig geblieben. Nur wenige Migranten werden einen Asylstatus nach Artikel 16 erhalten. Die Geduldeten werden wieder zurückkehren müssen, sobald die Fluchtgründe entfallen sind. Darauf sollten die Menschen, vor allem die Kinder, vorbereitet werden. Die Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft wird überbeansprucht. Die großen Zukunftssorgen vieler Menschen müssen zu denken geben.

    Innere Sicherheit ist derzeit ein brisantes Thema: Wie stark darf der Staat den Einzelnen überwachen?

    Josef Rief (CDU): Die Freiheit des Einzelnen ist ein hohes Gut und darf nicht willkürlich eingeschränkt werden. Sie ist jedoch eingeschränkt, wenn es keine Sicherheit gibt. Umfragen zeigen immer wieder, wie hoch das Bedürfnis der Bevölkerung nach individueller Sicherheit ist. Darum reagieren wir auf Bedrohungen und müssen auch Überwachungen möglich machen. Es darf nicht sein, dass Kriminelle oder Terrorristen der Polizei meilenweit voraus sind. Wichtig ist aber auch sicher zu stellen, dass Überwachungsmaßnahmen nur bei schweren Straftaten richterlich angeordnet werden können, so dass der normale Bürger nicht willkürlich davon betroffen werden kann.

    Martin Gerster (SPD): Hohe Strafen haben leider noch keinen Terroristen aufgehalten. Statt weiterer Gesetzesverschärfungen brauchen wir mehr Polizei auf unseren Straßen. Dafür habe ich mich als zuständiger Berichterstatter im Haushaltsausschuss eingesetzt und in den letzten Jahren bereits 7020 neue Stellen bei der Bundespolizei und 1100 Stellen beim BKA geschaffen. Darüber hinaus wollen wir als SPD die Polizei um weitere 8000 Stellen stärken. Wo Videotechnik hilft, Gefahren vorzubeugen und Beweise zu sichern, soll sie eingesetzt werden. Eine Überwachung von Computer, Handy, etc. muss möglich sein, aber nur unter Beachtung strenger rechtsstaatlicher Grundsätze.

    Anja Reinalter (B90/Die Grünen): Sicherheit ist ein absolutes Grundbedürfnis für jeden Menschen, an dem nicht gespart werden darf. Wie die Polizei in den letzten 25 Jahren kaputt gespart wurde, ist ein Skandal. Für die innere Sicherheit muss die Polizeipräsenz auf dem Land gestärkt werden. Nachhaltig! Videoüberwachungen können an hoch frequentierten öffentlichen Bereichen, wie Bahnhöfen, sicher hilfreich sein und der Aufklärung dienen. Ich persönlich fühle mich immer sicherer, wenn Polizei präsent ist. Auch die Wertschätzung gegenüber dem Polizistenberuf muss wieder steigen. Dazu sind die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Nur wer richtig ausgestattet ist, kann „Freund und Helfer“ sein.

    Tim Hundertmark (FDP): Für ein selbstbestimmtes Leben müssen sich die Menschen darauf verlassen, dass Privates auch privat bleibt. Wir kämpfen gegen jede anlasslose Erhebung und Speicherung von personenbezogenen Daten – sei es aufgrund von Vorratsdatenspeicherung, Fluggastdatenerhebung oder automatischer Kennzeichenerfassung mit dauerhafter Datenspeicherung. Mehr Daten schaffen nicht mehr Sicherheit. Nicht fehlende Daten sind das Problem, sondern fehlendes Personal, um die Spuren zu verfolgen. Die Abschaffung des Bargelds wollen wir verhindern. Bargeld ist ein Teil unserer Freiheit.

    Ralph Heidenreich (Die Linke): Sicherheit kommt von Vertrauen und nicht von Überwachung. Geheimdienste und Geheimpolizeien erhöhen nur die Unsicherheit und das Misstrauen.

    Matthias Stiel (AfD): Durch die islamistisch motivierten Anschläge in Deutschland und Europa ist in der Gesellschaft ein bislang nie gekanntes Unsicherheitsgefühl entstanden, das nach staatlichen Maßnahmen ruft. Die Attentate sind vielfach Ergebnis der Merkelschen Politik. Man muss die Zuwanderung begrenzen, Ausweisungen wesentlich erleichtern und Ausweisungshindernisse auch mit Härte beseitigen. Die deutsche Bevölkerung braucht nicht überwacht zu werden. Man muss die Ursachen beseitigen, nicht die Symptome. Dazu gehört auch, dass Richter und Kirchen nicht ständig den Behörden mit weltfremden Urteilen und Haltungen in den Arm fallen.

    Wo sehen Sie Deutschlands Rolle in Europa und der Welt in den nächsten Jahren?

    Josef Rief (CDU): Die Bundesrepublik ist schon jetzt eine der treibenden Kräfte in Europa und der Welt. Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigt immer wieder ihre Integrationskraft auf internationalem Parkett – sei es bei den schwierigen Verhandlungen innerhalb der EU oder bei G7- oder G20- Konferenzen. Gerade aktuell bei der Bekämpfung von Fluchtursachen nimmt Deutschland eine Führungsrolle ein. In Zeiten wachsender Unsicherheit und nicht immer berechenbaren Partnern wird die Rolle der Bundesrepublik sicher wichtiger werden. Dazu gehört auch mehr Verantwortung der Europäer in der Nato. Dies schließt auch finanzielle Anstrengungen mit ein.

    Martin Gerster (SPD): Nur gemeinsam können wir heute unsere Interessen in der Welt erfolgreich vertreten. Dafür brauchen wir eine bessere europäische Integration der Wirtschaftspolitik – perspektivisch mit der Einrichtung einer Wirtschaftsregierung für den Euro-Raum. Nicht zuletzt wollen wir ein Europa, in dem große Konzerne faire Steuern zahlen. Unter dem Dach der Nato wollen wir außerdem eine stärkere Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik um effizienter, leistungsfähiger und kostengünstiger zu werden. Teil dieser Zusammenarbeit ist eine gut ausgestattete Bundeswehr; das Zwei-Prozent-Ziel der Nato geht aber an jeder Realität vorbei.

    Anja Reinalter (B90/Die Grünen): Ich bekenne mich klar zu einem starken, vereinten Europa. An Europa führt kein Weg vorbei! Europa ist die Garantie für Wohlstand und Frieden. Deutschland ist dabei allerdings gut beraten, sich nicht als besserwisserischer Lehrmeister aufzuspielen. Europa gelingt nur, wenn es alle gemeinsam schaffen, echte Lösungen für die Probleme der Menschen zu entwickeln. Wir müssen im Gespräch bleiben mit Ländern, die keine – in Jahrzehnten gewachsenen – demokratischen Strukturen haben. Dringend notwendig ist es, Überregulierungen und Bürokratismus abzubauen, damit wir die Europäische Union besser zu schätzen lernen.

    Tim Hundertmark (FDP): Unsere Zukunft liegt in Europa. Die EU ermöglicht uns den Erhalt von Freiheit, Wohlstand und Sicherheit. Deutschland sollte sich mehr für die Zukunftsfähigkeit der EU einsetzen. Der europäische Einigungsprozess soll fortgesetzt werden, hin zu einer dezentral und bundesstaatlich verfassten Europäischen Union. Dieser Weg ist das Gegenmodell zum Rückfall in nationalstaatliche Kleinstaaterei einerseits oder die Schaffung eines zentralisierten europäischen Superstaats andererseits. Wir wollen eine echte gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in Europa.

    Ralph Heidenreich (Die Linke): Mir wäre es schon recht, wenn Deutschland sich nicht so aufspielen würde. Stattdessen sollten wir zur Entspannungspolitik zurückkehren und in Sachen Menschenrechte mehr Vorbild und weniger Prediger sein. Auch das außenwirtschaftliche Gleichgewicht sollte wieder erreicht werden.

    Matthias Stiel (AfD): Durch die fatale Euro-Rettungspolitik der Kanzlerin, mit der sie für eine Schulden-Union Tür und Tor geöffnet hat, werden wir auf Dauer in der Eurozone erpressbar sein. Ebenfalls ist die Grenzöffnung von Kanzlerin Merkel und die daraus resultierende Einwanderung von Armutsmigranten schuld an der deutschen Isolation in Europa und der Entfremdung von anderen Staaten. Deutschland wird heute durch sein irrationales Verhalten als Gefahr für Europa wahrgenommen. So war der Brexit die unmittelbare Folge von Merkels Flüchtlingspolitik. Deutschlands muss sich um ein besseres Verhältnis nach Osten bemühen.

    Unterschrift Foto: Sie kandidieren im Wahlkreis Biberach: (oben v. l.) Josef Rief (CDU), Martin Gerster (SPD), Anja Reinalter (B90/Die Grünen), (unten v. l.) Tim Hundertmark (FDP), Ralph Heidenreich (Die Linke) und Matthias Stiel (AfD). Bild: privat, ©Schwäbische Zeitung