Das Unbehagen steht Tobias Kamm ins Gesicht geschrieben. Schweren Herzens musste der Rektor der Kilian-von-Steiner-Schule in den vergangenen Tagen eine Auswahl treffen, wer die Vorqualifizierungsklasse an der Laupheimer Berufsschule besuchen darf und wer nicht. Dutzende junger Flüchtlinge möchten kommen, doch die Plätze reichen nicht aus.
„Die vielen Anfragen in jüngster Zeit haben uns überrollt“, sagt Kamm. Maximal 16 Schüler sollten nach den amtlichen Vorgaben in einer VABO-Klasse („Vorqualifizierung Arbeit und Beruf ohne Deutschkenntnisse“) sein. An der Kilian-von-Steiner-Schule sind es aktuell 25, es gibt eine Warteliste. Für mehr fehlten bisher die Ressourcen. Vor den Sommerferien stemmten Lehrerinnen und Lehrer der Berufsschule mehrere Monate über ihr Deputat hinaus den Unterricht. „Die Bereitschaft im Kollegium, dies auf freiwilliger Basis zu tun, war überwältigend“, berichtet Kamm.
Auf seine Bitten hin hat das Regierungspräsidium Tübingen inzwischen eine zusätzliche Stelle bewilligt. „Sobald die Lehrkraft da ist, können wir eine zweite Klasse aufmachen und weitere Flüchtlinge an unserer Schule aufnehmen“, sagt er. Doch auch diese Klasse werde wohl bald überfüllt sein. Dann wäre er erneut gezwungen, per Federstrich zu entscheiden, „wer eine Chance erhält, einen Weg in unsere Gesellschaft zu finden, und wer erst einmal nicht. Dafür bin ich nicht ausgebildet, und ich fühle mich hundeelend dabei.“
Die Flüchtlinge, für die am Dienstag der Unterricht in der Vorqualifizierungsklasse begonnen hat, sind 16 bis 21 Jahre alt. Die meisten stammen aus Syrien, Gambia und Ghana. Sie haben 30 Wochenstunden, der Schwerpunkt liegt auf dem Fach Deutsch. „Das ist der Schlüssel für eine gelungene Integration und eine berufliche Ausbildung“, unterstreicht Tobias Kamm. „Diese jungen Leute müssen förmlich baden in der deutschen Sprache.“ Sobald ein bestimmtes Level erreicht ist, sollen die Kenntnisse in der Werkstatt der Kilian-von-Steiner-Schule berufsbezogen angewendet werden, vor allem im handwerklichen Bereich. Dazu gesellen sich EDV-Schulungen. Aber auch „lebensweltbezogenes Deutsch“ steht auf dem Stundenplan: Die Lehrer gehen mit ihren Schützlingen einkaufen oder Bus fahren.
Nach einem oder nach zwei Jahren können die VABO-Schüler den Hauptschulabschluss machen. Wissensstand und Sprachkenntnisse sind gerade jetzt am Anfang noch sehr unterschiedlich. Umso froher ist Kamm, dass Schülerinnen des Carl-Laemmle-Gymnasiums den Sommer über Deutsch mit den Flüchtlingen gebüffelt haben. Elf Schülerinnen setzen dieses Engagement jetzt in Form einer Hausaufgabenbetreuung fort. „Wir wollen auch bei uns im Haus noch um Unterstützung werben“, sagt Kamm.
Mit eingefädelt hat die Betreuung Armin Speidel. Der 27-Jährige aus Bronnen studiert Vertriebsmanagement an der Hochschule Heilbronn. Im März hat er vor der „Stallschänke“ drei junge Männer aus Gambia kennengelernt, die in der Gemeinschaftsunterkunft am Bronner Berg leben. Inzwischen betreut er ehrenamtlich fünf Gambier; vier spielen Fußball in Bronnen, einer Handball beim HRW. „Dieses Patenkonzept wollen wir auch über den Helferkreis ,Brücken bilden’ ausbauen“, sagt Speidel.
Zwei der jungen Gambier gehen in die Vorqualifizierungsklasse der Berufsschule. Ein Dritter arbeitet seit Mitte August beim Bauunternehmen Matthäus Schmid in Baltringen. Es habe einen gewissen bürokratischen Aufwand erfordert, dies zu bewerkstelligen, berichtet Fridolin Schmid von der Geschäftsleitung. Jetzt sei der junge Mann in der Probezeit, er mache seine Sache sehr ordentlich. „Arbeit ist die beste Integration“, findet Schmid.
Beispiele wie diese seien wegweisend und ermutigend, sagt Tobias Kamm. Er möchte den Flüchtlingen aus der Vorqualifizierungsklasse gern berufsorientierende Praktika vermitteln und hofft, dass im nächsten Schuljahr eine dritte Klasse dieser Art an der Kilian-von-Steiner-Schule eingerichtet werden kann.
Dringlich sei ein Alphabetisierungskurs, hat Kamm festgestellt. Einige Flüchtlinge sind kaum oder gar nicht des Lesens und Schreibens kundig. Eine Lehrerin für diese Aufgabe hat der Schulleiter bereits gefunden; nun sucht er Menschen, die das Projekt finanziell ermöglichen. „Wir benötigen rund 4000 Euro, damit der Alphabetisierungskurs das ganze Schuljahr mit vier bis sechs Wochenstunden stattfinden kann“, erklärt Kamm. „Sobald wir über etwas Geld verfügen können, starten wir. Auch mit einem Teilbetrag.“
Wer die Flüchtlingsarbeit an der Laupheimer Berufsschule finanziell unterstützen möchte, kann auf das Konto des Förderkreises der Kilian-von-Steiner-Schule spenden:
Kreissparkasse Biberach, Stichwort „Flüchtlingshilfe“, IBAN: DE6765 4500 7000 0726 5082; BLZ: 65450070; Konto 7265082.
Unterschrift Foto: Eifriger Schüler: Ein junger Mann aus Gambia, der in der Vorqualifizierungsklasse der Kilian-von-Steiner-Schule unterrichtet wird, studiert die Aufschriebe in seinem Deutschheft. Bild: Roland Ray, ©Schwäbische Zeitung