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    Baden-Württemberg will aus Geflüchteten Mitbürger machen – doch das ist nicht einfach

    Riedlingen, 25.08.2017 (Alexei Makartsev, ©Schwäbische Zeitung)

    Riedlingen sz
    „What is ,daughter‘ in German?“ Die junge Nigerianerin schaut ratlos in ein gelbes deutsches Formular zur Kontoeröffnung, das zweijährige Mädchen neben ihr bekritzelt eifrig einen weißen Zettel. „Du musst in diesem Feld ,Tochter’ schreiben“, sagt lächelnd Viola Kirchmaier und schiebt der ungeduldig mit dem Fuß wippenden Kleinen einen frischen Zettel zu.

    Eine Alltagsszene im Riedlinger Büro des Amts für Flüchtlinge und Integration beim Landratsamt Biberach. Sozialarbeiterin Kirchmaier hat eben den Tag des afghanischen Flüchtlings A. gerettet. Der junge Mann fühlt sich durch den Lärm in seiner Unterkunft beim nächtlichen Lernen für die Führerscheinprüfung gestört. Ohne Führerschein kann A. keine Ausbildung zum Rettungssanitäter beim DRK machen. Und ohne Ausbildung droht ihm eine Abschiebung in die Heimat. „Ich schaue mal, ob du vorübergehend in ein anderes Haus ziehen kannst“, schlägt Kirchmaier vor. „Und weißt du, was noch gut gegen Lärm hilft? Ohrstöpsel!“

    Noch nicht angekommen

    Insgesamt etwa 240 Flüchtlinge leben heute in Riedlingen – teils in vorläufiger Unterbringung, teils in Sozialwohnungen, geduldete wie anerkannte, mit guten Deutschkenntnissen und völlig ohne. Was die meisten von ihnen eint, ist die Tatsache, dass sie in Oberschwaben noch nicht wirklich angekommen sind und im Alltag oft Hilfe brauchen.

    Und so hilft Viola Kirchmaier bei der Ausfüllung von Papieren, sie schlichtet Konflikte, prüft den Stand der Asylanträge, berät bei der Jobsuche und gibt Alltagstipps. Der „Verinselung“ von Migranten in deren neuen Heimat entgegenzuwirken ist ihr noch nicht genug. „Wir brauchen eine echte Integration“, sagt Kirchmaier. „Dazu gehört zum Beispiel, dass ein Flüchtlingskind im lokalen Fußballteam mitspielt und seine Eltern in den örtlichen Fitnessclub gehen. Wirklich integriert sind die Menschen, die keine Hilfe mehr brauchen, weil sie selbst gut zurechtkommen“.

    Zwei Jahre nach Angela Merkels „Wir schaffen das!“ ist die Integration der anerkannten Asylbewerber die nächste große Aufgabe für den Bund und das Land Baden-Württemberg, das seit Anfang 2015 mehr als eine Viertelmillion Geflüchtete aufgenommen hat. Die grün-schwarze Landesregierung stellte die Weichen dafür im April im sogenannten „Pakt für Integration“ (siehe Kasten).

    Sein Herzstück ist die Bereitstellung von jeweils 58 Millionen Euro 2017 und 2018 zur Finanzierung von rund 1000 Integrationsmanagern in den Städten und Gemeinden. Sie sollen die Flüchtlinge in der Anschlussunterbringung unterstützen, sie auf Angebote für Spracherwerb und Berufsqualifizierung hinweisen, aber auch an Vereine und „zivilgesellschaftliche Strukturen“ heranführen. Eine wichtige Neuerung dabei ist die Erstellung von individuellen Integrationsplänen, in denen konkrete Ziele der Geflüchteten festgehalten werden. Damit sollen während der zweijährigen Beratung die einzelnen Schritte im Integrationsprozess penibel dokumentiert werden.

    Das bundesweit einmalige Vorhaben hat eine hohe Akzeptanz auf der kommunalen Ebene. Allerdings war der Start des Projekts im Land eher holprig. Monatelang warteten die Kommunen zunächst auf grünes Licht aus dem Ministerium für Soziales und Integration. Fast alle von der „Schwäbischen Zeitung“ befragten Kreise beklagten das Fehlen von konkreten Umsetzungshinweisen für das Integrationsmanagement. „Wir hätten früher starten können“, sagt etwa Benjamin Lachat, Sozialdezernent beim Städtetag Baden-Württemberg.

    In der zweiten Julihälfte schickte das Ministerium von Manfred Lucha (Grüne) schließlich die „vorläufigen Hinweise“ heraus und gab für die Anstellung der Integrationsmanager zunächst 60 Prozent des jährlichen Fördervolumens frei, also 34,8 Millionen Euro. Das restliche Geld soll im Herbst verteilt werden. Zuvor wird Mitte September der finanzielle Bedarf der Gemeinden ermittelt. Dafür sollen alle in der Anschlussunterbringung lebenden Flüchtlinge gezählt werden, die zwischen dem 1. Januar 2015 und 29. Februar 2016 im Land neu aufgenommen worden waren.

    Im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“ rechtfertigt Minister Lucha die Verzögerungen beim Integrationspakt mit dem Wunsch, „allen gerecht zu werden“. „Die Kommunen haben gewusst, auf was sie sich inhaltlich einlassen. Das war sehr transparent, und ich kriege überall mit, dass sie damit arbeiten können“, sagt der Grüne. Aus Luchas Sicht sei er den Kommunen mit seiner „gelenkigen“ Verwaltungsvorschrift bereits „extrem entgegengekommen“.

    Flexible Lösungen

    Ein Zugeständnis der Landesregierung ist die Flexibilität bei der Flüchtlingsbetreuung. Die Landkreise, Städte und Gemeinden dürfen selbst entscheiden, wer diese Aufgabe am besten erfüllen kann. So wollen etwa die Städte Tettnang, Wangen und Leutkirch auch weiterhin selbständig agieren und eigene Integrationsmanager einstellen. Dagegen bietet der Landkreis Biberach das Management zentralisiert für seine Gemeinden an. „Wir sind in der Flüchtlingssozialarbeit seit drei Jahren drin und möchten gerne die Kontinuität beibehalten“, erklärt die Sozialdezernentin des Landkreises, Petra Alger, die mit 20 Integrationsmanagerstellen im Herbst rechnet. „Es wird nicht einfach, dieses Personal zu kriegen“, räumt sie dabei ein. „Denn der Markt für Sozialarbeiter und -Pädagogen gibt gerade nicht viel her“.

    Eine weitere Sorge treibt derzeit die Kreise und Städte um: Es ist keineswegs gesichert, dass die 1000 Integrationsmanager vom Land auch über das Jahr 2018 hinaus finanziert werden. Das führt mancherorts dazu, dass gute Fachkräfte angesichts der befristeten Verträge abwinken. „Die Integration ist nicht nach zwei Jahren beendet. Wir brauchen das Land als verlässlichen Partner, weil die Kommunen das alleine nicht schaffen werden“, warnt etwa Benjamin Lachat vom Städtetag. Minister Lucha möchte sich jedoch nicht festlegen. „Wenn es danach weiteren Bedarf geben sollte, werden wir gemeinsam mit dem Bund schauen, welche Ressourcen noch zur Verfügung gestellt werden müssen“, sagt er.

    Unterschrift Foto: Die Integration ist ein langer Prozess: ein somalischer Flüchtling als Praktikant bei der Firma Kühner Wärmetauscher in Korntal-Münchingen. Bild: dpa, ©Schwäbische Zeitung