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    Die Flüchtlingsunterkunft in Rottum ist zum ersten Mal belegt – ein Besuch vor Ort

    Steinhausen/Rottum, 22.03.2017 (Katrin Bölstler, ©Schwäbische Zeitung)

    Rottum sz
    Zehn Flüchtlinge leben seit zwei Wochen in der neuen Gemeinschaftsunterkunft in Rottum. Es sind die ersten Asylbewerber, die in dem kleinen 330-Einwohner-Dorf untergebracht sind – und ihre Ankunft wurde von manchen mit Spannung erwartet. Ein Besuch vor Ort.

    Endurance Edebiri will eine Antwort. Wie lange noch? Wie lange noch wird es dauern, bis er und seine Familie erfahren, ob sie hierbleiben dürfen? Wie lange noch, bis er einen weiteren Deutschkurs absolvieren und eine richtige Arbeit suchen kann? Der 37-jährige Nigerianer lebt seit anderthalb Jahren in Deutschland, sein acht Monate alter Sohn Freedom wurde hier geboren. Bis heute wartet er jedoch auf einen Termin für die persönliche Anhörung, den wichtigsten Termin eines Asylverfahrens. Doch keiner der heute Anwesenden, weder Sozialarbeiter Franz Kutter, Steinhausens Bürgermeister Leonhard Heine oder Jürgen Kraft, Leiter des Amt für Flüchtlinge und Integration im Landkreis Biberach, kann ihm diese Frage beantworten. „Manche haben ihre Anhörung nach ein paar Monaten, andere erst sehr viel später“, versucht Kraft ihm das nach außen undurchsichtige Prozedere zu erklären. Eine Antwort, die den jungen Mann offensichtlich nicht befriedigt. Verstanden hat er jedoch eins: So lange sein Aufenthaltsstatus nicht geklärt ist, werden Endurance Edebiri und seine kleine Familie weiterhin zusammen in einem Zimmer in einer Gemeinschaftsunterkunft leben.

    Und das ist nun also in Rottum. Ein Dorf, in dem es keinen Supermarkt, keine Schule, keinen Kindergarten gibt. Einziges öffentliches Transportmittel ist der Bus, der die Schulkinder morgens die vier Kilometer nach Ochsenhausen bringt. Am Wochenende fährt nur dann ein Bus, wenn der Fahrgast eine Stunde zuvor bei der Busgesellschaft anruft. Doch auf Deutsch zu telefonieren, fällt dem 37-jährigen Nigerianer nicht leicht. „Es ist schwierig hier, nichts zu tun, und jede Busfahrt nach Ochsenhausen kostet Geld“, sagt er in gebrochenem Deutsch.

    Da er an einer Integrationsmaßnahme teilnimmt, nimmt er zusammen mit den Schulkindern morgens den Bus, um dann in Ochsenhausen eine Stunde auf seinen Anschlussbus nach Heggbach zu warten. Dort arbeitet er seit einem Jahr in einem 80-Cent-Job als Hilfs-Elektriker, erklärt er. Zuhause, in Nigeria, sei er Dachdecker gewesen. Halb auf Deutsch, halb auf Englisch, drückt er seine Hoffnung aus, schon bald mehr Geld für seine Familie verdienen zu können. „So lange sein Status ungeklärt ist, ist das jedoch schwierig“, meint sein Sozialarbeiter Franz Kutter. Er ist erster Ansprechpartner für die jungen Familien, die nun in Rottum leben – und auch für die Nachbarn.

    Willkommenscafé geplant

    Als im Herbst 2015 bekannt wurde, dass in der ehemaligen Metzgerei eine Flüchtlingsunterkunft entstehen soll, dominierten bei einer ersten Informationsveranstaltung Argwohn und Skepsis. Wie soll das gehen, in einem kleinen Dorf ohne jegliche Infrastruktur? Eine Bürgerin verlangte, die Bushaltestelle abzusperren und die deutschen Kinder mit einem eigenen Bus fahren zu lassen. Konkrete Ängste vor Krankheiten und Gewalt wurden öffentlich ausgesprochen. Heute, anderthalb Jahre später, ist von dieser Angst nichts mehr zu spüren. „Ich habe an jedem Haus geklingelt und mich allen Nachbarn vorgestellt“, sagt Kutter.

    Überall sei er freundlich empfangen worden. Jeder der Anwohner habe sein Kärtchen und seine Telefonnummer. Angerufen habe ihn jedoch bisher keiner. Großen Kontakt zwischen Anwohnern und Flüchtlinge habe es bisher jedoch auch noch nicht gegeben. Der Helferkreis möchte demnächst ein Willkommenscafé organisieren.

    Auch Bürgermeister Leonhard Heine glaubt, dass die Aufregung sich gelegt hat. Er wisse zwar nicht, was an den Stammtischen geredet werde. „Inzwischen haben die meisten aber wahrscheinlich begriffen, dass die Flüchtlinge ganz normale Menschen sind“, sagt er. Das glaubt auch Jürgen Kraft vom Landratsamt. „In vielen Gemeinden war zu Beginn die Aufregung groß und es wurden viele wilde Vermutungen ausgesprochen, aber vor allem deswegen, weil damals keiner wusste, was auf uns zukam.“

    Was die Bürger aus Rottum tatsächlich von all dem halten – es ist schwer einzuschätzen. An diesem Nachmittag unter der Woche ist niemand auf der Straße unterwegs, den man das fragen könnte. Bürger, die sich in der Vergangenheit kritisch zum Thema geäußert haben, möchten ihren Namen nicht mehr in der Zeitung gedruckt sehen. Die Bürgerinitiative, die sich aus Protest damals gründete, gibt es nicht mehr. Ihre Mitglieder hatten damals die aus ihrer Sicht falsche Informationspolitik des Landratsamts kritisiert. Angst verursachte damals vor allem die Aussicht, dass in dem Dorf 45 Flüchtlinge gleichzeitig leben könnten – und wie das den Ort verändern würde.

    Darauf angesprochen, erklärt Kraft, dass eine Vollbelegung eher unwahrscheinlich ist. „Wir bekommen im Moment überhaupt keine neuen Flüchtlinge – und alle, deren Asylverfahren abgeschlossen ist, verteilen wir in die Anschlussunterbringungen“, sagt er. Die Zahl der Flüchtlinge, die in den Gemeinschaftsunterkünften des Landkreises leben, werde daher immer kleiner.

    Hoffen auf Neuigkeiten

    Die zweite Familie, die nun in Rottum lebt, kommt aus Afghanistan. Nesar Ali Haidarin ist 36, seine Frau Zahra 30, ihre Söhne Mohmmad-Taha und Mohammad Jawad sind zehn Monate und acht Jahre alt. Auch bei ihnen ist immer noch unklar, ob sie bleiben dürfen oder abgeschoben werden. Täglich warten sie auf Post und hoffen auf Neuigkeiten. Der 36-Jährige ist gelernter Schneider und hofft, in Kürze im Nähcafé in Ochsenhausen mitmachen zu können.

    Seine Frau, sagt er, verlasse die Flüchtlingsunterkunft bisher kaum. In Ochsenhausen hätten sie mit drei anderen afghanischen Familien zusammengelebt, „die Frauen konnten sich auf Dari, unserer Muttersprache, unterhalten. Hier ist sie ganz allein.“ Ähnlich ergeht es Warsame Moussa Abdilah aus Somalia. Der 24-Jährige teilt sich mit seiner gleichaltrigen Frau Kaltoum und seiner einjährigen Tochter Warda das Zimmer und wartet täglich auf seinen Bescheid.

    Unterschrift Foto: Leben jetzt in Rottum (v. l.): Nesar Ali und seine Frau Zahra Haidari aus Afghanistan, Stella und Endurance Edebiri mit ihrem Sohn Freedom sowie Warsame und Kaltoum Ali a Wateh mit ihrer Tochter Warda. Bild: Katrin Bölstler, ©Schwäbische Zeitung