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    Cornelia Lanz und Verein „Zuflucht Kultur“ erweitern „Idomeneo“ um Flüchtlingssituation

    Biberach, 01.11.2016 (Günter Vogel, ©Schwäbische Zeitung)

    Biberach sz
    Die Biberacher Opernsängerin Cornelia Lanz hat gemeinsam mit dem Stuttgarter Verein „Zuflucht Kultur“ Mozarts „Idomeneo“ in der Stadthalle aufgeführt. Bei der Oper am Montagabend wirkten Künstler und Flüchtlinge aus Afghanistan, Iran, Irak, Nigeria, Pakistan und Syrien mit.

    Zur originalen Handlung: Der kretische König Idomeneo kehrt auf Irrwegen aus dem Trojanischen Krieg zurück, gerät in ein Unwetter auf See und wird gerettet. Die weiteren Figuren sind allesamt Gestrandete: Ilia, die verschleppte trojanische Königstochter, Idamante, der vor dem Zorn der Götter fliehen muss, und Elektra, die nach dem Muttermord zu Idomeneo geflohen ist und sich dort hoffnungslos in Idamante verliebt hat. „Idomeneo“ ist mit den ausgedehnten Rezitativen und Affekten Mozarts große Choroper.

    Das Werk steht einerseits noch in der barocken Tradition der Opera seria, andererseits verbindet der damals 25-jährige Komponist Elemente des französischen und italienischen Stils zu einem musikalischen Theater, das die starren Formen aufbricht und das menschliche Drama in den Mittelpunkt rückt. Es ist die Oper der verlorenen Heimat; es ist die Oper der Sehnsucht.

    In diese originale Handlung ist aktuell ein anderes Geschehen integriert. Die gegenwärtige Situation der Flüchtlingen wird in phantasievoller Stilvielfalt hineingearbeitet, erhält dramatische, stellenweise auch optische Dominanz. Mozart muss seinen künstlerischen Alleinvertretungsanspruch teilen; es gibt ein „Stück im Stück“. Konträre Formen und Stile prallen auf- und dringen ineinander, vermengen unterschiedliche Kulturkreise und Schicksale. Das Ergebnis erhält durchaus eine eigene Faszination.

    Einzelschicksale werden per Dolmetscher erzählt. Großformatige Projektionen der Meeresoberfläche stehen für die vielen Tausend im Mittelmeer Ertrunkenen. Nicht immer sind Einzelszenen gelungen. Ilia etwa singt eine Arie im Flüchtlings-Schlafsaal. Idamante interviewt mit Mikrofon Chormitglieder: „Wie heißt Du? Wo kommst Du her“ Antwort: „Ich habe an ,Pakistan sucht den Superstar’ teilgenommen.“

    Internationales Ensemble

    Innere Zusammenhänge werden verfremdet, etwa wenn ein Mann mit TV-Kamera auf der Bühne herumläuft. Sein filmisches Ergebnis wird zeitgleich auf einer große Leinwand gezeigt, und man schaut während der Arien von Idamante und Idomeneo verblüfft auf die großformatigen Füße schlafender Männer. Regisseur Bernd Schmitt hat dieses Opern-Drama drastisch um die aktuelle Flüchtlingssituation erweitert. Ein internationales Ensemble aus Asylsuchenden ist an der Produktion mit beteiligt. Neben den Solisten spielen Flüchtlinge aus Afghanistan, Iran, Irak, Nigeria, Pakistan und mehrheitlich Syrien. Schmitts Personenführung ist zumeist professionell und handlungsorientiert; die Körpersprache der Darsteller situationsgerecht. Regieeinfall: Bei Mozart kommt keiner der Protagonisten zu Schaden. Bei Schmitt erschießt sich Elektra mit Idamantes Pistole.

    Die Sänger verdienen ausnahmslos großes Lob. Dafür stehen Manolito Mario Franz (Idomeneo), Cornelia Lanz (Idamante), Josefin Feiler (Ilia), Tatjana Charalgina (Elektra), der Iraner Mahsen Rashidkhan (Hoher Priester), der Syrer Zaher Alchihabi (Arbace). Die Chorsätze gestaltete der Philharmonia Chor Stuttgart mit klangfeiner Dynamik.

    Das Orchester ist ein europäisches Ensemble. Die 50 Musiker von Bandart spielen ohne Dirigent. Ihr Konzertmeister Gordan Nikolic übernahm Einstudierung und musikalische Leitung. Unüberhörbar fehlt aber die klangdynamische Ausdruckskraft eines Dirigenten. Der Konzertmeister spielt die erste Geige, kann deshalb Phrasen und Linien im Augenblick des künstlerischen Schöpfungsakt nicht differenziert gestalten. Nichts von diesen Unzulänglichkeiten und von allem Ungewöhnlichen auf der Bühne konnte letztlich aber die Kraft und Genialität von Mozarts Musik ernsthaft beeinträchtigen.

    Unterschrift Foto: Die Oper „Idomeneo“ erzählt von Sehnsucht und verlorener Heimat. Bild: Günter Vogel, ©Schwäbische Zeitung