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    Alfred Tönnis will traumatisierte Flüchtlinge in Oggelsbeuren behandeln – Kritik vom Landkreis

    Oggelsbeuren, 04.07.2017 (Andreas Spengler, ©Schwäbische Zeitung)

    Oggelsbeuren/sz Farid könnte zur Gefahr werden. Er ist fleißig und übernimmt Verantwortung bei der Arbeit. „Ein Lieber“, sagt Pater Alfred Tönnis. Aber Menschen wie Farid seien auch eine „tickende Zeitbombe“. Sein Bruder wurde gefoltert, ein Teil seiner Familie ermordet. Beinahe täglich erreichen den jungen Afghanen Nachrichten aus seiner Heimat. SMS, Anrufe, Fernsehbilder. Er erfährt von gestorbenen Freunden, liest vom endlosen Krieg. Dann rast er durch das Haus, wie ein Löwe im Käfig, rastet aus.

    Farid ist in Deutschland in Sicherheit, aber sicher ist in seinem Leben schon lange nichts mehr. Von den 65 Flüchtlingen, die zurzeit im ehemaligen Kloster Oggelsbeuren Zuflucht und Heimat gefunden haben, gibt es viele Farids (Name geändert). Wenn die Menschen nicht therapiert werden, glaubt Pater Tönnis, könnten Gewaltausbrüche oder Suizide eine Folge sein.

    Er fordert: „Wir brauchen ein Traumatherapiezentrum in Oberschwaben.“ Diese Forderung ist weder neu noch ganz uneigennützig: Ende des Jahres läuft der Status der ehemaligen Klosteranlage als Gemeinschaftsunterkunft aus. Auch die Verträge der elf Angestellten bei der Stiftung „Heimat geben“ sind bis Jahresende befristet. Aber die Hände in den Schoß legen wollen die drei Patres der Oblatengemeinschaft nicht. Im Gegenteil: Ihr Plan für die Zukunft nimmt Gestalt an – und stößt dabei auch auf Widerstand.

    Tönnis hat unter anderem Gespräche mit dem Landratsamt Biberach geführt, doch der Kreis weist die Verantwortung von sich. Der Landkreis sei „nicht zwingend“ für Therapieaufgaben zuständig. „Wir sehen hier keine Handlungsnotwendigkeit“, erklärt Landratsamtssprecher Bernd Schwarzendorfer. Grundsätzlich wolle sich das Landratsamt nicht weiter zu dem Therapiezentrum äußern. Man sehe „keinen Bedarf“.

    Tönnis sieht das anders: Er stelle fest, dass der „Schwarze Peter immer von A nach B geschoben“ werde. „Viele Gesetze sind zu klein gedacht“, meint er. Therapie müsse Hand in Hand gehen mit Integrationsmaßnahmen. Rund 40 Prozent der Flüchtlinge seien auffällig in ihrem Verhalten, 20 Prozent müssten „dringend therapiert“ werden. Diesen Eindruck habe er bei seiner Arbeit in den vergangenen Jahren gewonnen und diese Einschätzung teilten Experten. Bereits heute geschieht dies in den Räumen der Stiftung „Heimat geben“ in Oggelsbeuren, allerdings nur im kleinen Rahmen. Zwei Therapeuten sind bereits für die Stiftung tätig.

    Doch das reiche nicht. Tönnis will nicht nur die bisherigen Stellen behalten, sondern auch mindestens zwei neue Therapeuten einstellen. Bereits im Mai haben er und Pater Heinrich Mayer zudem geistliche Verstärkung bekommen: Oblatenpater Wolfgang Boemer ist in Oggelsbeuren eingezogen. Boemer war zuvor unter anderem Provinzökonom in Mainz, und Verwaltungsleiter der Oblaten. Tönnis persönlich hat ihn nach Oggelsbeuren gelotst. „Ich wusste, dass hier etwas Neues ansteht“, sagt Boemer Er wolle auch in Zukunft helfen, wie genau, wisse er noch nicht. Seine Aufgabe sehe er aber weiter darin, Exerzitien zu geben und vor allem für die Flüchtlinge da zu sein. „Fürsorglich, aber ohne falsches Mitleid“, wie er sagt. Wichtig sei, dass die Flüchtlinge Engagement zeigten und sich um das Sprachenlernen und eine Arbeit bemühten.

    Bereits heute arbeiten rund 25 der Flüchtlinge der Stiftung bei der Firma Industrie-Dienstleistung-Süd (IDS) am Standort Oggelsbeuren. Diese würden voraussichtlich auch im nächsten Jahr noch im Haus der Stiftung wohnen und bei der Firma arbeiten können, sagt Pater Tönnis. „Das ist von IDS und von uns so gewollt.“ Dies sei nur ein Standbein für das neue Konzept, mit dem Tönnis die Zukunft seiner Stiftung sichern will. Mit der Gemeinde Attenweiler sei er zudem in Gesprächen für eine Anschlussunterbringung für die Flüchtlinge. „Die könnten dann im Prinzip direkt hier wohnen bleiben“, sagt Tönnis.

    Schwerpunkt der Arbeit aber soll das Therapiezentrum werden, mit rund 80 Plätzen. Dafür suchen Tönnis und seine Mitbrüder noch Sponsoren. Mit einer Förderung von rund 200 000 Euro wäre der Betrieb möglich, glaubt Tönnis. Vorausgesetzt es fließen zusätzliche Einnahmen für die Vermietung. Dann stünde dem Projekt nichts mehr im Weg. Den Ort Oggelsbeuren hält er gar für ideal. „Für eine gelingende Traumatherapie muss die Wohnqualität stimmen.“ Die heimatliche Idylle zwischen Wiesen und Wäldern sei dafür hervorragend geeignet. Zudem seien andere Therapiezentren stark überlastet.

    Tatsächlich wäre ein Traumatherapiezentrum die erste Einrichtung dieser Art im oberschwäbischen Raum. Doch nicht die erste in Süddeutschland: Das Ulmer Zentrum für Folteropfer bestätigt den hohen Bedarf an Therapieplätzen. „Wir können momentan nicht alles stemmen“, erklärt der Leiter Manfred Makowitzki. Zurzeit liege die Wartezeit für Patienten bei mehreren Monaten. Mit einem Einzugsgebiet von 80 Kilometern Umkreis kommen auch bisherige Fälle aus der Region Biberach nach Ulm. Ein mögliches Therapiezentrum im Kreis Biberach würde man in Ulm wohl eher als Konkurrenz sehen. Die Nachfrage sei hoch, doch die Finanzierung bleibe schwierig, sagt Makowitzki. Wie bei Traumatherapiezentren üblich, sei die Arbeit nicht regelfinanziert und werde auch nicht von den Krankenkassen übernommen. „Wir haben jährlich wechselnde Kostenträger“, erklärt er. „Ein sehr mühsames Geschäft.“ Schwierig sei es, wenn mehrere Zentren in Konkurrenz auftreten. Er wünsche sich deshalb eine „konzertierte Aktion“.

    Tönnis spricht indes von einer „Ergänzung zu Ulm“. Und sagt: „Ich bin Optimist.“ Optimismus ist offenbar auch angebracht, denn bis Ende des Jahres müssen die Patres ein Konzept vorgelegt haben.

    Unterschrift Foto: Die Oblaten-Pater Wolfgang Boemer (von links), Alfred Tönnis und Heinrich Mayer haben neue Pläne für die Stiftung „Heimat geben“. Bild: Andreas Spengler, ©Schwäbische Zeitung