Biberach sz
Jetzt also Attenweiler-Oggelsbeuren, Landkreis Biberach, 450Einwohner. Wie kommt der „coolste Priester Deutschlands“, wie die „Bild“-Zeitung ihn einmal genannt hat, in dieses stille Dörfchen? Noch kürzlich war Pater Alfred Tönnis im Libanon unterwegs. Besuchte Flüchtlingslager. Schaute nach, ob der Bus, für den er in der Heimat Spenden eingesammelt hatte, auch tatsächlich gekauft worden war und Kinder aus den Lagern zur Schule brachte. Traf Imame und Priester. Und rauchte mit Freunden eine Shisha im Straßencafé.
Jetzt schaut der Missionar des im 19.Jahrhundert gegründeten und weltweit tätigen Ordens der Oblati Mariae Immmaculatae, abgekürzt OMI, zu Deutsch „Oblaten der makellosen Jungfrau Maria“, aus der kleinen Hauskapelle über die weite Landschaft hinüber zum Bussen, dem „heiligen Berg“ Oberschwabens, und sagt: „Immer haben wir uns etwas darauf eingebildet, das sogenannte christliche Abendland zu sein. Und jetzt beweisen wir gerade, dass wir es sind. Hier, im Landkreis Biberach ganz besonders.“ 60 Helferkreise mit mehr als 1000 Ehrenamtlichen sind dort in der Ökumenischen Flüchtlingsarbeit engagiert, die landesweit als vorbildlich gilt.
700 Jahre alte Kirche
Die Hauskapelle gehört zum Anwesen auf dem „Kirchberg“ in Oggelsbeuren. Der Ort verschwindet in einer Senke, wenn man auf ihn zufährt, ist kaum zu sehen. Steil ragt nur eine einzelne Erhebung über die Höfe und Häuser. Darauf steht seit mindestens 700 Jahren eine Kirche. Sie zieht die Blicke auf sich, zusammen mit dem gewaltigen, kastenförmigen Bau an ihrer Seite. Zuletzt stand das Anwesen leer – nach einer höchst wechselvollen Geschichte.
Jahrzehntelang war hier eine Jugendhilfeeinrichtung, zum Schluss noch wenige Jahre eine Klinik für Suchtkranke. Der Besitzer der Immobilie, die Stiftung Piuspflege, suchte nach einer weiteren Nutzung. Jetzt steht „Stiftung Heimat geben“ am Haupteingang und „OMI“ an einem schmalen Nebeneingang. 90Flüchtlinge leben hier, bald werden es 120 sein. Hauptsächlich unbegleitete Jugendliche sollen dazukommen.
Ordensmänner und Flüchtlinge
Pater Alfred, 56, und sein Mitbruder, Pater Heinrich Mayer, 79, hatten es nicht weit, als sie zum Jahreswechsel umzogen. Sie und drei Mitbrüder verließen das kaum zehn Kilometer entfernte letzte Oblatenkloster in Baden-Württemberg im nahen Schemmerhofen an der berühmten Wallfahrtskirche „Aufhofener Käppele“, um sich neuen Aufgaben zu widmen. Die drei anderen Brüder gingen „auf Einzelposten“. Es ist kurz vor zwölf. Die drei Ordensmänner versammeln sich, mit dem Brevier in der Hand, zur Sext, dem Mittagsgebet, in der Hauskapelle. Für einen Moment ist es ganz still, bis die Glocke zwölf schlägt. Das Gebet im Wechsel beginnt. Dann tischt die Haushälterin auf. Ein einfaches, aber liebevoll gekochtes Mittagessen. Einfach – wie alles in der kleinen Kommunität. Die Brüder beten wieder, dann wird gegessen, geschwatzt und viel gelacht.
Pater Alfred, der an Magenkrebs erkrankt ist und darüber offen spricht, waren seine Pflichten zu viel geworden: als Rektor der Kommunität, als Gemeinde- und Pilgerseelsorger, als Stellvertreter des Dekans in Biberach, als Vorsitzender der „Stiftung Heimat geben Oggelsbeuren“, als einzigem hauptamtlichen Flüchtlingsseelsorger der Diözese Rottenburg-Stuttgart, als vielgefragter Medienseelsorger auf Facebook, im Fernsehen und im Privatradio. Und als Abgesandter seines Ordens in Homs, Aleppo, Damaskus, Beirut und der libanesischen Bekaa-Ebene und an vielen anderen Orten der Welt, an denen es gilt, „den Armen die Frohe Botschaft zu bringen“.
So hatte es der provenzalische Adelssohn, Ordensgründer und Bischof von Marseille, der heilige Eugen von Mazenod, als Regel formuliert. Pater Alfred ist seinem Orden und Bischof Gebhard Fürst dankbar, dass er sich nun auf die Flüchtlingsseelsorge konzentrieren kann.
Das heißt bei dem hageren, großen Ordensmann, der immer sein „Kollar“ trägt, den weißen Stehkragen, der ihn als Kleriker ausweist, nicht, dass er nur noch eine Aufgabe hat. Langsamer angehen lässt er es nicht. Er kann und will es nicht. „Schauen Sie“, sagt er, während er mit großen Schritten durchs Haus führt und den Raum für die Therapie traumatisierter Flüchtlingskinder zeigt, „im Libanon leben 1,5 Millionen Flüchtlinge und das Land hat nur 4,5 Millionen Einwohner. Christen und Muslime. Wir können dort so viel lernen“. Ein „Hörender“ will er sein, so versteht er seine Aufgabe als Seelsorger, die er auch in Büchern beschrieben hat. „Ein Hörender und dann ein Tätiger.“
Schon bei seiner Verabschiedung in Schemmerhofen am Jahresanfang hatte er gesagt: Zehn Jahre sei er in der Seelsorgeeinheit gewesen, nun sei die Flüchtlingsarbeit dran, „und in zehn Jahren gründe ich ein Kloster in Damaskus“. Pater Alfred, der Medienprofi, weiß, wie man die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf sich zieht. In der Mehrzweckhalle von Aßmannshardt bei Fleischkäs und Kartoffelsalat von einem Kloster in Damaskus zu reden? „Dort ist doch Krieg. Wie soll das gehen?“, fragt einer am Tisch.
Er sei „bereit zu gehen“, sagt Pater Alfred im Hinblick auf seine Krebserkrankung, aber „wenn Er mich lässt“, könne er sich vorstellen, mit einigen der Menschen, die hierher geflohen seien, eines Tages zurückzukehren in deren Heimat, eine Schule zu gründen, ein Krankenhaus. Diese Menschen seien doch „wahre Schätze und nichts weniger als Botschafter Gottes: Sie haben uns als Kirche herausgefordert, als wir anfingen, uns um uns selbst zu drehen. Sie haben uns gezeigt, wo wir als Kirche unseren Platz haben: an der Seite der Armen“. Er habe „überhaupt keine Angst vor der Zukunft“. Es sei doch großartig, gerade jetzt zu leben. Zu sehen, wie die Kirche wieder Glaubwürdigkeit gewinne, wie Menschen, die lange kirchenfern gewesen seien, wieder stolz auf ihre Kirche seien. Ermutigend, diesen Papst und diesen Bischof zu haben, die so eindeutige Zeichen setzten. Wunderbar, diese vielen Ehrenamtlichen zu erleben.
Alfred Tönnis ist als Adoptivkind aufgewachsen. Seine Mutter war sehr fromm. Er hat sie als Jugendlicher einen qualvollen Krebstod sterben sehen. Sein Wertesystem geriet durcheinander, er entfremdete sich von seiner Kirche. Irgendwann hörte er einen Oblatenmissionar predigen. Die beiden kamen ins Gespräch. Der Missionar lud den jungen Zweifler für ein paar Tage ins Kloster ein. Und Alfred Tönnis fand seine Berufung, trat in den Orden ein, studierte Theologie und wurde Priester.
Aus der Welt hatte er sich damit nicht verabschiedet, ganz im Gegenteil. Er wurde schnell berühmt, fuhr mit einem riesigen amerikanischen Wohnmobil durch ganz Deutschland und parkte sein „Kloster auf Rädern“ auf Marktplätzen. Immer für zwei bis drei Wochen. Kam mit Leuten ins Gespräch, wirkte als Seelsorger. Um erreichbar zu sein, legte er sich schon 1991 ein Handy zu. Diesen Kasten in der Größe eines ausgewachsenen Laptops hat er noch heute und bewahrt ihn unter seinen Erinnerungsstücken aus aller Welt auf. Dann wurde er Gemeindepfarrer in Mittelbiberach, gründete eine Initiative für junge Frauen im Schwangerschaftskonflikt, fing beim Privatradio mit religiösen Sendungen an und baute die „Rollende Kirche“, mit der er und sein Team beispielsweise auf der Düsseldorfer Kirmes präsent waren, mitten zwischen Zuckerwatte-Buden und Geisterbahnen.
Thomas D als Prediger
2005 zog er ins Oblatenkloster nach Schemmerhofen, wurde bald dessen Rektor. Pater Alfred holte Promis wie Thomas D von den Fantastischen Vier oder Cem Özdemir von den Grünen als Prediger, arbeitete weiter als Radio-Seelsorger, war gefragter Fernsehgast in der Landesschau genauso wie beim Talk mit Maybrit Illner und stieg in die Seelsorge auf Facebook ein. Die betreibt er mit Leidenschaft. „Wenn sich Leute auf Facebook an mich wenden, erfahren andere davon nichts und sie wissen, dass es unter uns bleibt.“
Was fragen die Menschen den Seelsorger im Schutz der Anonymität? „Lieber Pater Alfred, ich bin schwul und lebe in einem kleinen Dorf. Keiner hier weiß es. Was soll ich tun?“ Aber auch mit Glaubenssorgen wenden sich vor allem junge Menschen an ihn. Die Tradition, an Orten Seelsorge anzubieten, an denen es die wenigsten erwarten, setzt er auch auf seiner neuen Stelle fort. Jeden Mittwochabend zwischen 22Uhr und kurz vor Mitternacht ist Pater Alfred in einer Biberacher Shisha-Bar anzutreffen. Nicht als Privatmann, sondern als Priester und Seelsorger. Auch dort trägt er unter der Lederjacke den Kleriker-Stehkragen. Dazu eine ausgebeulte Jeans, dicke Socken und Sandalen. Er kommt mit den Leuten ins Gespräch, mit einheimischen Kneipenbesuchern, aber auch mit Flüchtlingen, die mittlerweile aus der Gemeinschaftsunterkunft ausgezogen sind und eine eigene Wohnung haben.
In der stillen Hauskapelle zeigt Pater Alfred auf die Figur seines Ordensgründers. Einheimische Künstler haben sie für die kleine Kommunität geschnitzt und bemalt. Gegenüber, genau nach Osten ausgerichtet, hängt ein originaler muslimischer Gebetsteppich an der Wand. Den hat er sich aus der Türkei mitgebracht. Schließlich finden in der Hauskapelle auch interreligiöse Veranstaltungen statt.
An der Rückwand, gegenüber dem Altar, sieht man eine weiße Maria und einen weißen Josef und dazwischen ein eindeutig schwarzes Jesuskind. Das Bild ist auf eine Infrarot-Heizung gemalt. „Wir haben die einzige Krippe, bei deren Anblick einem richtig warm wird“, sagt Pater Alfred und lacht. Jetzt muss er los. In die Shisha-Bar.
Unterschrift Foto: Pater Alfred Tönnis – hier in der Sendung von Maybrit Illner – ist bundesweit bekannt geworden. Seine Seelsorge ist unkonventionell und erreicht auch kirchenferne Menschen. Bild: imago, ©Schwäbische Zeitung