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    gut besuchte Veranstaltung

    Landkreis Biberach, 16.02.2016 (Wolfgang Lutz, ©Schwäbische Zeitung)

    Ertingen sz
    Wie wichtig den Ertinger Bürgern die Informationen zum Thema Flüchtlingsaufnahme sind, zeigte sich bei der Informationsveranstaltung der Gemeinde in der Kulturhalle. Vor allem das Landratsamt Biberach mit Sozialdezernentin Petra Alger sowie Jürgen Kraft, der in Sachen Flüchtlinge im Kreis zuständig ist, boten Informationen aus erster Hand. Dabei konnten auch so manche Vorurteile oder Verunsicherungen genommen werden. Das zentrale Thema – die Standorte für die Unterkünfte – beschäftigt die Ertinger Bürger aber weiterhin und wird am Montag, 22. Februar, in der Gemeinderatssitzung entschieden.

    Welche Brisanz hinter dem Thema Flüchtlingsunterbringung steckt, musste die Verwaltung nach der ersten Standortfestlegung erfahren. Es gab es Unmut bei einigen Bürgern, so dass nun erneut entschieden wird.

    Trotzdem, so Bürgermeister Jürgen Köhler, sei neben der Unterbringung und Integration der Flüchtlinge der Umgang mit ihnen ein bestimmendes Thema. Dabei seien eine umfassende Information, die Beantwortung von Fragen und Toleranz zu zeigen wichtige Ziele. Bedenken jeglicher Art würden stets ernst genommen. Köhler ist sicher, dass die Ertinger die Situation bewältigen werden. An sie gewandt, sagte er: „Geben Sie den Menschen, die zu uns kommen, eine Chance.“

    70 Personen pro Woche

    „Derzeit“, so Sozialdezernentin Petra Alger, „leben 2618 Flüchtlinge im Landkreis Biberach“. Für das Jahr 2016 werden nach einer ersten Prognose weitere 2100 Neuankömmlinge erwartet, also eine wöchentliche Zuweisung an den Kreis von 70 bis 75 Personen. „Da schauen wir gerade in die Glaskugel, denn die Zahl wird weiter steigen, da bin ich mir sicher“, so Alger. Wichtig sei für sie, dass die Flüchtlinge gleichmäßig auf den ganzen Landkreis verteilt würden. „Weiße Flecken auf der Landkarte wird es bis Ende des Jahres nicht mehr geben.“ Für die Gemeinde Ertingen bedeutet das konkret für dieses Jahr die Schaffung von 80 Plätzen in einer Gemeinschaftsunterkunft sowie 60 weiteren Plätzen in der Anschlussunterbringung.

    Gerade bei den Sozialleistungen für die Flüchtlinge räumten die Mitarbeiter des Landratsamts mit so manchen „Märchen“ und Spekulationen auf. „Um es vorne weg zu sagen, es gibt von uns kein Handy oder iPhone, das sind alles Gerüchte“, so Jürgen Kraft, Sachgebietsleiter für Flüchtingsangelegenheiten im Landratsamt. Die Flüchtlinge erhalten Geld zur Bestreitung ihres kompletten Lebensalltags, das leicht unter den Sätzen von Hartz IV liege, so Kraft. „Sie müssen auch die Putzmittel für die Sauberkeit ihrer Unterkunft bezahlen und dafür sorgen, dass entsprechend gereinigt wird.“ Und: „Die Flüchtlinge aus der Anonymität heraus zu holen, ist unser Ziel.“ Dabei arbeiten die Ämter untereinander zusammen, gemeinsam mit den Gemeinden und ehrenamtlichen Helfern. Dies habe unter anderem dazu geführt, dass bisher im Kreis Biberach keine nennenswerten Vorfälle zu beklagen seien.

    Hartmut Pernice vom Helferkreis Asyl aus Riedlingen schilderte die Situation vieler Flüchtlinge, die oft traumatisiert hier ankommen und viel Betreuung und Hilfe benötigen. Neben dem Erlernen der Sprache gäbe es viele Möglichkeiten, ehrenamtlich zu helfen. Integration sei dabei sehr wichtig, um die Abgleitung in die Anonymität zu verhindern. „Hilfe beim alltäglichen Leben ist das Wichtigste“, betonte Pernice. „Das kostet Einsatz, aber es bringt dem Einzelnen sehr viel“, ergänzte Johanna Schönle, die ehrenamtlich beim Helferkreis tätig ist.

    Von seinen Erfahrungen im Umgang mit Flüchtlingen erzählte ein Ertinger Bürger. Er hat zwei syrische Flüchtlingskinder bei sich aufgenommen, von denen er nur Positives berichten konnte. Die Standortdebatte sei ihm ein Dorn im Auge und er könne nicht nachvollziehen, dass sich hier Widerstand rege.

    „Wir sind keine Flüchtlingsgegner, aber es muss erlaubt sein, über den Standort der Unterbringung reden zu dürfen“, entgegnete einer der Besucher der Informationsveranstaltung. Auch das Risiko-Management kam zur Sprache, dem Petra Alger ein Betreuungskonzept für die derzeit 50 Unterkünfte im Kreis entgegenhielt. „Wir mussten bisher noch keine Anwohner schützen.“

    Nur Neubau kommt in Frage

    Allerdings müsse man die Fehler von vor 20 Jahren bei der Integration von Flüchtlingen vermeiden: „Flüchtlinge, die sich integrieren, honorieren. Die dies nicht wollen, müssten daraus Konsequenzen ziehen“, so der Vorschlag von Alger. Um besser auf die Flüchtlinge zugehen zu können, wäre es besser, die Unterkünfte im Ortskern zu verteilen und eine Ghettoisierung zu verhindern.

    Man müsse bei der Standortwahl auf Jahre hinaus denken, um für weitere Unwägsamkeiten gewappnet zu sein, so die Meinung eines Bürgers. Draufhin präsentierte Köhler den Veranstaltungsteilnehmern eine Bestandsaufnahme der Gemeinde mit Grundstücken, Häusern und Wohnungen sowohl aus Gemeinde- wie auch aus Privatbesitz, die für die Unterbringung von Flüchtlingen geeignet wären. Schnell wurde klar, dass nur der Neubau von Wohnraum in Frage kommt.

    Damit verbunden ist die endgültige Festlegung der Standorte. Dies geschieht am kommenden Montag in der Gemeinderatssitzung. Bürgermeister Köhler zeigte sich zuversichtlich: „Ich bin mir sicher, dass wir die uns gestellte Aufgabe meistern werden, denn Ertingen hat schon ganz Anderes geschafft.“

    Unterschrift Foto: 500 Besucher kommen zu Info-Veranstaltung über Flüchtlinge in Ertingen Bild: Wolfgang Lutz, ©Schwäbische Zeitung