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    Mit flinken Händen setzt Ensa C. Bauteile für Schonhämmer zusammen.

    Biberach, 13.04.2019 (Roland Ray, ©Roland Ray)

    Der 22-jährige Gambier arbeitet als Produktionshelfer bei der Firma Halder Werkzeuge in Bronnen. „Ich bin glücklich hier“, sagt er. Doch sein Lächeln wirkt gequält, die Stimme brüchig. Dem jungen Mann, 2014 über das Mittelmeer nach Deutschland geflüchtet, drohen ein Beschäftigungsverbot und die Abschiebung, obwohl er sich nichts hat zuschulden kommen lassen und sein Chef und die Kollegen große Stücke auf ihn halten.

    „Herr C. ist ein sehr fleißiger, zuverlässiger Mitarbeiter“, lobt der Geschäftsführer Martin Halder. Im Februar 2018 hat er ihn mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag ausgestattet. Zuvor hatte Ensa ein Vorqualifizierungsjahr an der Karl-Arnold-Schule Biberach, Praktika in einem Autohaus und bei Halder und eine Teilqualifizierung im Fachbereich Metalltechnik absolviert. Er spricht Deutsch, fällt niemandem zur Last, wohnt in Rot und spielt in der Kreisliga-Mannschaft des dortigen Fußballvereins.

    Seit Ende Januar 2019 ist Ensa in Deutschland „geduldet“. Ein Bundesgesetz, das Menschen wie ihm – Asylantrag abgelehnt, aber in einem Arbeitsverhältnis – eine Bleibeperspektive eröffnen kann, ist in Vorbereitung und soll am 1. Januar 2020 in Kraft treten. Das hatte nicht zuletzt die Wirtschaft gefordert.

    Hürden, an denen viele scheitern
    Auch Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) ließ verlauten: Geflüchtete, die keinen Asylstatus, aber einen Job haben und gut integriert sind, sollten vorerst bleiben können. Sein Ministerium hat im Vorgriff auf die geplante bundesweite Beschäftigungsduldung die sogenannte Ermessensduldung eingeführt, befristet bis Ende 2019. Wer eine solche erhält, kann vorerst nicht abgeschoben werden. Doch der Erlass hat einen Haken. Das Gros der Betroffenen habe keine Chance, davon zu profitieren, kritisieren Unternehmer und Wirtschaftsverbände. „Nicht einmal fünf Prozent erfüllen die Kriterien“, sagt Armin Speidel, Flüchtlingskoordinator bei der Industrie- und Handelskammer Ulm.

    Eine Hürde, an der viele scheitern: Die Aspiranten müssen bereits seit mindestens zwölf Monaten geduldet sein und seit 18 Monaten einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen. Diesen Anforderungen könne so gut wie niemand genügen, der im Jahr 2014 oder später nach Deutschland kam und ein Asylverfahren durchlaufen hat, sagt Speidel. Auch Ensa C. vermag es nicht.

    Wer eine Ermessensduldung bekommen möchte, ist außerdem verpflichtet, einen Pass oder Passersatz vorzulegen; zumindest darf er nichts unversucht lassen, dies zu tun. Auch Ensa C. ist von der zuständigen Behörde dazu aufgefordert worden. Ob es klug ist, dem Folge zu leisten? Wiederholt sind in jüngster Zeit in Baden-Württemberg Flüchtlinge, die die gewünschten Dokumente beibrachten, Knall auf Fall abgeschoben worden. Ist ihre Identität geklärt, kann man sie leichter in ihre Heimatländer zurückschicken.
    Kann Ensa seine Herkunft und Identität nicht ausreichend belegen, dann ist ein Beschäftigungsverbot für ihn nach jetzigem Stand unausweichlich, wenn seine aktuelle Duldung Ende April ausläuft. Das sei nicht nur für den jungen Gambier und die Firma Halder Werkzeuge schlimm, sondern auch für den Steuerzahler von Nachteil, sagt Martin Halder. Denn so werde aus einem Menschen, der seinen Lebensunterhalt selbst bestreitet und Sozialabgaben zahlt, ohne Not ein Sozialhilfeempfänger.

    Die Fälle häufen sich
    „Zurzeit häufen sich die Abschiebungen und Beschäftigungsverbote, besonders bei Schwarzafrikanern“, berichtet Armin Speidel. Eine Handhabe dafür bietet der Strobl-Erlass, in dem es heißt, bis sämtliche Voraussetzungen für eine Ermessensduldung erfüllt seien, „können aufenthaltsbeendigende Maßnahmen eingeleitet werden“.

    Ein Damoklesschwert, das mehr denn je auch über Ensa Cs. Zukunft hängt. Trotzdem schwinge sich der junge Gambier jeden Morgen auf sein Fahrrad und sei pünktlich in Bronnen, erzählt Martin Halder. „Er ist eben ein feiner Kerl.“

    Halder hat Thomas Strobl um Auskunft gebeten, was zu tun sei, damit Cs. Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis verlängert wird. „Wir möchten ihn auf keinen Fall verlieren, denn durch sein Engagement und seine Leistungsbereitschaft trägt er wesentlich zum Erfolg unseres Unternehmens bei“, schrieb der Bronner Unternehmer dem Innenminister, und: „Trotz intensiver Suche finden wir keinen annähernd gleichwertigen Mitarbeiter.“ Eine Antwort aus Stuttgart steht aus.

    Sälzle: „Dieser Erlass funktioniert falsch“
    Unverhohlene Kritik an dem Erlass von Innenminister Thomas Strobl zur Beschäftigungsduldung abgelehnter Asylsuchender hat Otto Sälzle, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Ulm, geübt. „Dieser Erlass funktioniert falsch, wir brauchen eine andere Regelung“, sagte Sälzle im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“.

    Vor allem mit den Kriterien für die Ermessensduldung hadert Sälzle. Er fordert eine Stichtagsregelung, die arbeits- und integrationswilligen Menschen, die bereits im Land sind, eine faire Chance bietet, bleiben zu dürfen. Die jetzigen Vorgaben des Stuttgarter Innenministeriums seien für die meisten nicht zu erfüllen. Damit drohe vieles von dem zunichte gemacht zu werden, was die Unternehmen in den vergangenen Jahren geleistet hätten, um den Flüchtlingsstrom zu bewältigen und Menschen in Lohn und Brot zu bekommen.

    „Die Wirtschaft hat sich engagiert. Wir waren bereit, etwas zu tun, und haben Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integriert“, betonte Sälzle. Die Politik dürfe die Unternehmen jetzt nicht im Regen stehen lassen. Vor allem kleinere Betriebe, die Flüchtlinge eingearbeitet und in sie investiert haben, treffe es hart, wenn diese Mitarbeiter jählings wegbrechen. „Die Abschaffung solcher Leistungsträger konterkariert den Spruch der Kanzlerin: ,Wir schaffen das’“, zitierte Sälzle den Ulmer IHK-Präsidenten Jan Stefan Roell.

    „Wir haben bisher versucht, im direkten Kontakt mit der Politik auf die Problematik hinzuweisen“, sagte Sälzle. Jetzt aber steige der Handlungsdruck – „wir bekommen täglich Anrufe aus der Unternehmerschaft“. Deshalb habe man sich dazu entschieden, an die Öffentlichkeit zu gehen. „Wir müssen Kante zeigen und von der Politik einfordern, dass sie eine andere Lösung sucht.“

    Kritik am Kurs des baden-württembergischen Innenministers kommt auch von der Unternehmer-Initiative „Bleiberecht durch Arbeit“, der sich inzwischen mehr als 150 Unternehmen und Handwerksbetriebe sowie drei Verbände angeschlossen haben. In einem vor wenigen Tagen verteilten Rundbrief wird Strobl aufgefordert nachzubessern. „Es kann nicht sein, dass abgelehnte Asylsuchende, die eine Arbeitsstelle haben, erst zwölf Monate im Besitz einer Duldung sein müssen, bevor sie einen Antrag auf Beschäftigungsduldung stellen dürfen“, heißt es da. „Es kann auch nicht sein, dass man nur nach 18 Monaten Vollzeitstelle eine Beschäftigungsduldung erhält (...) Wir sind in Sorge, dass diese unrealistischen Zeitspannen zum Abschieben benutzt werden.“ In Nordrhein-Westfalen gebe es einen „weitaus sinnvolleren Erlass“. Dort solle das Aufenthaltsgesetz künftig so ausgelegt werden, „dass gut integrierten Asylbewerbern, die einer geregelten Beschäftigung nachgehen, eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt wird. Dies werden wir auch in Baden-Württemberg einfordern.“



    Unterschrift Foto: „Ich bin glücklich hier“: Ensa C. arbeitet bei der Firma Halder Werkzeuge in Bronnen. Bei den Kollegen und seinem Chef ist er hochgeschätzt. (Foto: Roland Ray) Bild: Roland Ray, ©Roland Ray