20201111_seebruecke.png

    Seebrücke für Flüchtlinge bislang kein Thema für Kommunen im Kreis Sigmaringen

    Mengen, 06.11.2020 (Jennifer Kuhlmann, ©Jennifer Kuhlmann)

    Nachdem es im September im Flüchtlingscamp Moria auf der griechischen Insel Lesbos so gebrannt hat, dass eigentlich keiner der dort lebenden knapp 13 000 Menschen bleiben konnte, ist in Deutschland über den Kurs der deutschen Regierung diskutiert worden.

    Ist es menschlich, Verhandlungen über Aufnahmekontingente und eine gemeinsame Flüchtlingspolitk auf dem Rücken der Menschen auszutragen, die auf Lesbos zum Teil ohne Zeltdach über dem Kopf, Essen oder Wasser ausharren müssen?

    Bislang will keine Kreiskommune "sicherer Hafen" für Flüchtlinge werden

    Unterstützer der Initiative Seebrücke verneinen das. Sie finden, dass Kommunen, die sich als „sicherer Hafen“ bezeichnen und mehr Flüchtlinge aufnehmen wollen, dies auch tun sollen dürfen. Wie das Landratsamt der „Schwäbischen Zeitung“ mitteilt, hat es bislang in keiner der Kreiskommunen Bestrebungen gegeben, ein solcher Hafen zu werden.

    Deutschlandweit sind es 204 Städte, Kreise und Gemeinden, die bereit sind, mehr Flüchtlinge aufzunehmen, als sie nach dem herkömmlichen Verteilschlüssel müssten. In der Region gehören beispielsweise die Landkreise Biberach und Konstanz dazu sowie die Städte Tuttlingen und Bad Waldsee. In Wangen und Weingarten haben sich die Gemeinderäte dagegen entschieden ein „sicherer Hafen“ zu werden.

    Kreis Sigmaringen hat durch die LEA Sonderverpflichtungen

    Im Kreis Sigmaringen scheint es in keiner Gemeinde Interesse zu geben, es den 204 Kommunen gleichzutun. Zumindest hat eine solche Kunde das Landratsamt noch nicht erreicht, teilt Pressesprecher Tobias Kolbeck auf Anfrage mit. Eine öffentliche Diskussion, eine Anregung zum Thema aus der Bevölkerung oder eine Aussprache zu dem Thema im Kreistag hätte es nicht gegeben.

    Dies könnte, so die Einschätzung aus dem Landratsamt, daran liegen, dass der Landkreis Sigmaringen seit vielen Jahren im Unterschied zu anderen Landkreisen Sonderverpflichtungen übernehme, die mit der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes für den Regierungsbezirk Tübingen (LEA) zusammenhängen. Das Gesundheitsamt übernehme zusätzliche medizinische Aufgaben, das Jugendamt häufig die Vormundschaft bei minderjährigen Flüchtlingen.

    Im Übrigen sei der Landkreis Sigmaringen Teil des staatlichen Aubaus. „Der Königsteiner Schlüssel regelt die Verteilung von Flüchtlingen unter den Bundesländern und auch Baden-Württemberg hat eine derartige Aufteilung unter den Landkreisen“, so Kolbeck. „Als Landkreis sind wir in der Pflicht, die Vorgaben, die der Bund und das Land an uns stellen, zu erfüllen.

    Dieser Pflicht sind wir immer auch aus Überzeugung nachgekommen.“ Den Verantwortlichen sei es ein Anliegen, die Menschen, die in den Landkreis kommen, gut unterzubringen und zu betreuen. „Auf Betreiben des Landes haben wir seit dem Jahr 2017 kontinuierlich Kapazitäten abgebaut und die Mehrzahl der Gemeinschaftsunterkünfte geschlossen.“

    73 Flüchtlinge wohnen noch in Gemeinschaftsunterkünften

    Aktuell betreibt der Landkreis nur noch zwei Gemeinschaftsunterkünfte in der Zeppelinstraße in Sigmaringen. Für die Geflüchteten stünden dort 117 Plätze zur Verfügung, davon seien 73 Plätze belegt. „Aufgrund der Corona-Pandemie sollten die Gebäude auch nicht zu dicht belegt und Ausweichmöglichkeiten vorgehalten werden“, so Kolbeck.

    „Dies bedeutet, dass wir hinsichtlich der vorhandenen Kapazitäten bei der Aufnahme von Flüchtlingen keinen großen Spielraum mehr haben. Eine, über das reguläre Verteilverfahren hinausgehende Aufnahme von Flüchtlingen wäre nur möglich, wenn wir zusätzlichen Wohnraum beschaffen, also weitere Gebäude kaufen oder anmieten.“ Die Stadt Mengen schließt sich der Position des Landratsamts auf Nachfrage an.

    Beim Mengener Arbeitskreis Asyl ist laut Liane Schmid vom Leitungskreis sachlich über die Lage auf Lesbos gesprochen worden. „Die prekäre Situation der Flüchtlinge, die ohne Wohnraum und ohne ausreichend Wasser und Nahrung ausharren mussten, weckte zunächst natürlich den Wunsch zu helfen“, sagt sie.

    „Aber gerade auch in diesen Situationen ist überlegtes Handeln erforderlich um möglichst vielen Menschen nachhaltig zu helfen.“ Ein Konsens hätte darin bestanden, dass unbegleitete minderjährige Migranten und Familien mit kleinen Kindern besonders schnell Hilfe benötigten.

    Eine Abschottungskultur halten wir für unnötig.
    Liane Schmid vom Arbeitskreis Asyl Mengen

    Der Einschätzung der Mengener Ehrenamtlichen zufolge würden die Kapazitäten des Arbeitskreises Asyl in Mengen sicher ausreichen, um weitere Flüchtlinge im Alltag, bei Sprachkursen und beim Kennenlernen der Mengener Infrastruktur zu unterstützen. „Eine Abschottungskultur halten wir für unnötig, da gerade die zuletzt nach Mengen gekommenen Flüchtlinge überwiegend deutsche Grundkenntnisse und sogar Arbeitsplätze hatten und somit eher als Bereicherung des Stadtlebens gesehen werden können“, sagt sie.

    Zudem ließen sich sinnvollerweise Integrationsangebote nur anbieten, wenn eine genügend große Nachfrage bestehe. Ein Deutschkurs für Mütter mit kleinen Kindern könne etwa nur angeboten werden, wenn sich genug Frauen vor Ort befinden, für die dieses Angebot passt. „Ein paar weitere Flüchtlinge erleichtern somit sogar die Integration“, so Schmid. Der Arbeitskreis Asyl sei aber auch der Meinung, dass vor der Aufnahme weiterer Flüchtlinge geeigneter Wohnraum zur Verfügung sehen solle.

    Aufgrund der Corona-Pandemie gäbe es außerdem gerade kaum Austausch zwischen dem Arbeitskreis und anderen Ehrenamtlichen im Landkreis. Eine Diskussion über die Möglichkeit der Schaffung „sicherer Häfen“ habe es deshalb nicht gegeben.

    Unterschrift Foto: Viele Menschen in Deutschland demonstrieren dafür, dass mehr Flüchtlinge aus dem Lager in Moria aufgenommen werden Bild: imago images, ©imago images