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    Fünf Jahre ist es her, dass die Initiative startete

    Wain, 08.08.2019 (Axel Pries, ©Axel Pries)

    Fünf Jahre ist es her, dass die Initiative startete, und heute schauen Mitbegründer des Arbeitskreises Flüchtlinge in Wain mit gewisser Befriedigung auf ihr Werk: Alle Flüchtlinge, die sie in ihrer Betreuung hatten, gehen heute einer Ausbildung nach oder haben eine Arbeitstelle. Aber bis zu dieser positiven Bilanz mussten die rührigen Wainer viele Hürden überwinden und selbst viel lernen, um helfen zu können. „Zum Glück haben wir von so vielen Schwierigkeiten damals nichts geahnt“, erzählt Jens Rieso vom „harten Kern“.

    Die Geschichte der Wainer Flüchtlingsbetreuung hat bereits ein Jahr vor jener sogenannten Flüchtlingswelle begonnen, die im Herbst 2015 Deutschland ereichte und zur Einrichtung von Container-Dörfern und zur Beschlagnahme von Sporthallen führte.

    Mehrere Herausforderungen

    „Container und Sporthallen kamen für uns nicht in Frage“, sagt Jens Rieso. Zusammen mit fast 20 Mitstreiterinnen und Mitstreitern hatte er da bereits unter Mitwirkung von Pfarrer Ernst Eyrich Grundstrukturen für eine Betreuung Geflüchteter in der kleinen Gemeinde aufgebaut.

    Auch Bürgermeister Stephan Mantz zeigte sich hilfsbereit bei der Suche nach Unterkünften, so dass schon 2014 zwei Familien aufgenommen werden konnten.

    Gute Kontakte zur Kreisverwaltung ließen die Wainer ahnen, was noch kommen könnte: „Wir sind nicht überrascht worden“, stellt Kerstin Kriegl fest, die ebenfalls heute zum harten Kern der Aktiven zählt. Mit zwei Häusern und einer Wohnung war man in Wain bei der Unterkunft gewappnet – allerdings nicht für die kulturellen und sprachlichen Probleme, die auf sie zukommen sollten.

    Ein bisschen blauäugig, so räumt Rieso ein, habe er seinerzeit die Idee verfolgt, die Flüchtlinge über das Jobcenter schnell in Arbeitsstellen vermitteln zu können.

    Sprachliche Hürde höher war als erwartet

    Schnell habe sich nämlich herausgestellt, dass in Deutschland gewünschte Ausbildungsabschlüsse wie Schlosser oder Friseur in Syrien oder dem Irak unbekannt waren, dass die sprachliche Hürde höher war als erwartet – letztlich: „Es gab große kulturelle Unterschiede und Vorstellungen von Berufszielen.“

    Man erkannte: Vor einer Integration durch Arbeit musste erst einmal eine Integration durch Sprachkenntnisse und kulturelle Integation stehen. „Die Idee mit der Arbeit zerschlug sich, weil die Flüchtlinge hier erst einmal ankommen mussten“, fasst Jens Rieso zusammen.

    Verständigungsprobleme

    Man verstand einander am Anfang einfach nicht – nicht nur der Sprache wegen. Immerhin: Zwei syrische Männer, die über Englischkenntnisse verfügten, dienten als Dolmetscher. „Da habe ich mein altes Schulenglisch wieder aufgefrischt“, lacht Kerstin Kriegl. Dennoch: Es gab viele Missverständnisse – insbesondere über den Wert von Ausbildung und die Rolle der Frau in der deutschen Gesellschaft.

    In Räumen, die die Gemeinde bereitstellte, erhielten die Ankömmlinge Sprachunterricht, und in den Sprachkursen traten Unterschiede schnell zutage. Die Jungs und die Männer ließen sich von Frauen nichts sagen – syrische Frauen wiederum äußerten sich nur nach Blickkontakt mit den Männern am Tisch. Man trennte die Geschlechter – und das gefiel den Männern nicht, weil die Frauen sich darauf schnell als besser entpuppten.

    „Die Frauen waren viel lernwilliger, haben viel besser gelernt.“ Den Unterricht gestalteten die Ehrenamtlichen nach dem Thannhauser Modell: die Vermittlung von alltagstauglichem Grunddeutsch.

    Wirklich pädagogische Erfahrungen hatte kaum jemand im Arbeitskreis – der mittlerweile auch geschrumpft war. Um einen richtigen Integrationskurs anzubieten, brauchte man professionelle Unterstützung, damit der anerkannt wird.

    „Ich habe die Gelben Seiten abgeklappert und Klinken geputzt“, sagt Kerstin Kriegl. Claudia Werner vom Profilcolleg in Dietenheim ließ sich für diesen Unterricht verpflichten.

    Beraten ließen die Wainer sich zugleich von der Ökumenischen Flüchtlingsarbeit im Kreis, einem Zusammenschluss von Diakonie und Caritas, die Dutzenden Arbeitskreisen eine Art Supervision bei der Flüchtlingsbetreuung anbietet. „Die Wainer sind sehr rührig“, stellt Julia Blessing fest, die für Wain zuständige Ehrenamtskoordinatorin der Diakonie. „Da sieht man, wie wichtig das Ehrenamt ist."

    Wohnungsvermittlung und Behördengänge

    Insgesamt 33 Flüchtlinge wurden seit 2014 in Wain betreut, rechnen die Aktiven zusammen – zehn sind allerdings bereits wieder weg, freiwillig ausgereist oder abgeschoben worden. Bei der Betreuung der anderen versuchte der Arbeitskreis zunächst eine thematische Arbeitsteilung.

    Mitglieder waren zuständig für die Wohnungsvermittlung oder Behördengänge. Später schwenkte man um auf die persönliche Zuständigkeit: Paten waren für alle Bereiche zuständig – da bestand der Wainer Arbeitskreis noch aus einem harten Kern von sieben Aktiven.

    Erfolge stellen sich ein

    Mancher Flüchtling wurde wohl auch vom Integrationseifer der Wainer überfordert, räumt Kerstin Kriegl im Rückblick ein. „Die haben doch alle ihr Päckchen mitgeschleppt.“ Päckchen, das heißt in diesem Fall: der Verlust der Heimat, aller vertrauten Werte, traumatisierende Kriegs- und Fluchterlebnisse.

    Aber der Erfolg stellte sich ein. aus Flüchtlingen wurden Auszubildende: in einer Banklehre, als Elektriker, in der Pflege oder als Zahnarzthelfer. Andere fanden Arbeit in der Produktion oder einer Küche.

    Gerne erzählen die Helfer von Rania Mustafa, die aus dem syrischen Homs geflohen war. Die heute 41-Jährige hatte in Syrien Abitur gemacht, aber aufs Studium verzichtet, weil sie ihre kranken Eltern pflegen musste. In Wain lernte sie das Rüstzeug für ein Leben in Deutschland – und war dabei sehr ehrgeizig.

    In Illertissen fand sie eine Ausbildungsstelle zur Altenpflegerin, lernte zusätzlich intensiv die deutsche Sprache – und absolvierte das erste Ausbildungsjahr, das für Flüchtlinge auf zwei Jahre verlängert ist, mit der Note 1,6 als Beste im Jahrgang. Damit ist sie schon staatlich anerkannte Pflegehelferin.

    Eine begehrte Kraft

    Und in dem Haus Sebastian ist sie schon eine begehrte Kraft. Grundsätzlich werden Pflegekräfte dort gesucht, erklärt der Heimleiter Egon Leuthner. Generell könnten Fachkräfte aus dem Ausland in deutschen Pflegeheimen Lücken schließen – und Menschen wie Rania Mustafa besonders, weil sie aus einem Kulturkreis kommt, in dem familiäre Unterstützung höher bewertet wird.

    „Diese Leute bringen große Empathie im Umgang mit den alten Menschen mit.“ Das zähle – „ob dunkelhäutig oder nicht, spielt keine große Rolle mehr.“ Rania Mustafa fällt in dem Haus auf: „Sie ist außergewöhnlich. Sie verfolgt ihre Ziele sehr konsequent“, erzählt die Pflegedienstleiterin Irene Richter.

    Job als Automechaniker

    Eines der Sternchen der Wainer Integrationsarbeit ist Housin Issa, der in Syrien bereits Maschinenbau studiert hatte. Sein Bachelore wurde nach der Flucht 2015 in Deutschland auch anerkannt, doch bis zu einer entsprechenden Anstellung hatte er einen weiten Weg vor sich.

    Über Biberach kam er nach Wain, erinnert sich an die freundliche Unterstützung dort ebenso wie an eine schlechte Verkehrsanbindung.

    Mit geringen Sprachkenntnissen bekam er in Laupheim einen Job als Automechaniker, besuchte nebenher einen Sprachkurs, den er ebenso erfolgreich abschloss wie den Integratioskurs. Er holte seine Familie nach – Ehefrau und zwei Kinder – und lernte Speicherprogrammierbare Steuerungssysteme zu bedienen.

    Damit fand er eine Anstellung in einem Mannheimer Maschinenbau-Betrieb. Als Außendienstmitarbeiter ist er heute im In- und Ausland beruflich viel unterwegs. Er ist zufrieden und schaut dankbar zurück: „Ich habe tolle Hilfe in Wain bekommen.“

    Unterschrift Foto: Der Erfolg am Ende des langen Weges Bild: Axel Pries, ©Axel Pries